Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Moment entschied sich Lunch, John und Mary Smith unter die Lupe zu nehmen.
An John Smiths Erscheinungsbild war eine komplette Menagerie verloren gegangen: groß wie ein Ochse, Hals wie ein Ganter, kuhäugig, Schweinebauch, wahrscheinlich störrisch wie ein Maulesel und bestimmt geil wie ein Bock. Seine Haare waren schwarz und im frühen Beatles-Schnitt frisiert. Er schmückte sich mit einem dekadent schmalen Menjoubärtchen, das darauf hindeutete, dass sein Besitzer aus seinem Hang zu gewissen Perversionen keinen Hehl machte. Gut möglich, dass John Smith in einer Fernfahrerraststätte an der I -80 als hübsches Kerlchen durchgegangen wäre.
Die Strickmamsell-Hälfte der Smith-Familie tat lammfromm, hatte aber einen falschen Zungenschlag. Ihre Finger ließen fleißig die Nadeln klappern und strickten etwas Rotes, das ganz sicher warmhalten würde. Ihr Haar hatte die Farbe, die auch das von Rayanne gehabt hatte, der Farbe von erntereifem Korn. Es war nicht zu lang und zum Pferdeschwanz gebunden. Mary Smiths Hüften waren dünn, vielleicht sogar mager zu nennen, aber ihre Brüste waren irgendwie gewaltig präsent unter einem weißen T -Shirt, das für The Old Creamery Theater warb.
»Diese Hitze«, sagte Lunch. »Puuh! Könnt ich Sie vielleicht zu ’nem kühlen Getränk animieren?«
Mary blickte zu ihm und lächelte. Dann wandte sie sich an ihren Mann. »Einfach zum Verlieben , wie die hier unten reden.«
»Ich weiß«, sagte John Smith. Dann zu Lunch: »Teufel auch, Freundchen, nur voran.«
»Das ist ja das Problem«, sagte Lunch. »Ich bin gerade erst hier angekommen und kenn mich überhaupt nicht aus.«
»Uns fällt bestimmt was ein«, sagte John Smith.
»Der alte Natchez-Under-the-Hill-Saloon«, schlug Mary vor, die noch immer strickte. Lunch zog ein Bündel Bargeld aus der Tasche.
»Die erste Runde geht auf mich«, sagte er.
John Smith klatschte in die Hände.
»Menschenskind, sieht so aus, als müssten Sie nicht sparen«, sagte er. Er tätschelte Lunch die Schulter. »Nur immer hinter uns her, Kumpelchen.«
Die Smiths marschierten mit Lunch nach Natchez-Under-the-Hill. Sie machten ihn auf diverse antike Häuser und Laternenpfähle aufmerksam, die noch aus einer Zeit stammten, als es in der Stadt von Flussarbeitern, Huren, Banditen und allerlei Grenzland-Gesindel gewimmelt hatte. Es war die Erinnerung an zünftigere Zeiten, welche die Touristen trieb, hierherzukommen und die übrig gebliebenen Zeugnisse jener saft- und kraftvollen Vergangenheit zu begaffen.
Die Schenke, die sie wählten, nannte sich Natchez-Under-The-Hill-Saloon, und sie war bereits damals eröffnet worden, als der Name Under-The-Hill eimerweise Schnaps bedeutete, lange Messer, lockere Weiber, Träume von der Expansion nach Westen und so manch abruptes Ende. Man hatte den Eindruck, dass die Kunde von Schlüsselereignissen aus dem Leben von Leuten, die schon hundert Jahre oder länger tot waren, wie ein leises Echo von allen Wänden widerhallte.
Die drei setzten sich an einen Tisch am Fenster, mit freiem Blick auf den Fluss.
»Wir waren schon gestern hier«, sagte John Smith. »Was trinken Sie denn, Rich?«
»Ich bin ein Bud-Mann«, sagte er, »und ein Cub-Fan.«
»Er kennt unser Motto!«, rief Mary aus, ohne Lunch direkt anzusprechen.
»Ich hab’s gehört«, gab John Smith zurück. »Bei uns zu Hause sind alle Cub-Fans – ich wusste gar nicht, dass es hier unten auch so ist.«
»Kabelfernsehen«, erklärte Lunch. »Wenn Harry Caray was sagt, dann spricht er auch für mich.«
»Toll«, sagte Mary. »Ich glaube, ich gönn mir ein Bud mit euch Jungs.«
Bei drei Flaschen Bier bekam Lunch die Lebensgeschichten von John und Mary Smith aufgetischt, die zwar langweilig waren, aber äußerst reich an Einzelheiten. Diese Details wurden dem Rumpf der langweiligen Erzählung unbarmherzig aufgezwungen, nebst mehrerer Abschweifungen, in denen die Smiths auf ihre häuslichen Kontroversen zu sprechen kamen. Er sammelte seine Socken nicht auf und wusch auch nie ab, er konnte nichts kochen als scharfes Chili und Spareribs, während sie ihn damit nervte, dass sie billiges statt gutes Bier kaufte, ihre Schwester bis zu sechs Wochen auf Besuch kommen ließ und Songs von Patsy Cline auf so gruselige Weise sang, dass sie ihm verleidet waren, sogar wenn Patsy selbst sie sang. Gegen Ende der Geschichte musste Lunch dann feststellen, dass man ihn zum Richter erkoren hatte, der den endgültigen Schiedsspruch zu einem Streit sprechen sollte, den die
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