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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die immer bereitliegende Arzttasche an sich und folgte Pater Felix. Er erreichte ihn noch, bevor er wieder das Kreuz vor sich hatte. Die Indios, die es mit den langen Stangen aufrecht hielten, gingen weit nach vorn gebeugt. Es war ein schweres, massives Kreuz, sie brauchten ihre ganze Kraft. An der Spitze, allein, die Fackel von sich weghaltend, ging Evita.
    »Halt Evita zurück!« keuchte Högli neben Pater Felix. »Nur du allein kannst es! Wenn Paddys Leute wirklich schießen, wird man sie zuerst treffen!«
    »Uns wird man treffen, Riccardo. Dich, Evita, meine Meßdiener, mich! Und Christus wird man treffen. Er wird die Spitze übernehmen!« Er drängte sich an den Indios vorbei und klopfte den schwitzenden Trägern auf die Schultern. »Ich will sehen, ob sie auf das Kreuz schießen! Tun sie es, dann habe ich in Santa Magdalena umsonst gelebt. Dann hat auf jeden Fall das Sterben einen Sinn!«
    An der Weggabelung hatte sich der Haufen endlich so formiert, wie es Pater Felix wollte. Voran er selbst, neben sich zur Linken Evita, zur Rechten Dr. Högli, dahinter das Kruzifix, umrahmt von den sechs Meßdienern in ihren Chorröcken. Dann die eng marschierenden Indios mit ihren Fackeln und Krügen und Töpfen, Frauen, Männer und Kinder durcheinander. Und sie sangen wieder, und es war wirklich wie ein Wunder, daß aus diesen ledernen, vertrockneten Kehlen noch Töne kommen konnten, schöne, klingende Töne sogar, die die fahle Nacht ausfüllten und von den Bergwänden zurückschallten.
    Allein im Dorf, beschnuppert von skelettartigen, knurrenden Hunden, blieb nur Miguel Lagarto. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt, wie auf den harten Boden gekreuzigt, nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Sein Herz hämmerte das Blut durch seinen Körper und ließ ihn glühen, und wenn er versuchte, sich zu bewegen, war es, als schlügen Flammen aus seinen Gelenken.
    Es war, als erlebe er seine Verbrennung, und Lagarto begriff, daß etwas Unbekanntes in seinem Körper zerstört war und ihn jetzt auflöste.
    So blieb er liegen und rührte sich nicht, um das schreckliche Brennen in seinem Inneren nicht unnötig zu schüren, aber seine Stimme war noch da, er konnte brüllen, er hörte sich schreien, aber niemand achtete darauf.
    Das kleine Heer der Fackeln zog nur ein paar Meter von ihm vorbei … er sah Evita an die Spitze springen, sah Pater Felix, Dr. Högli und die kleinen Meßdiener, wie sie hinterherrannten, und er brüllte aus Leibeskräften genau in den Augenblick, als über vierhundert Kehlen mit dem Gesang begannen.
    »Eine Wolke! Im Norden ist eine Wolke! Wartet bis morgen! Wartet doch …«
    Dann waren nur noch die Hunde um ihn, stießen mit den rauhen, rissigen Nasen an ihn, leckten über sein zuckendes Gesicht, rochen das Blut in seinen Schürfwunden und balgten sich um ihn.
    Als der erste Hund zubiß, in seinen aufgeschürften linken Oberschenkel, schrie er gellend auf, warf sich trotz seines brennenden Körpers herum und kroch auf allen vieren zu der nächsten Hütte. Die Hunde folgten ihm, hackten nach ihm mit ihren spitzen Reißzähnen, er trat und schlug um sich, wälzte sich Meter um Meter weiter und erreichte endlich die offene Tür eines steinernen Hauses. Mit letzter Kraft warf er sich in den dunklen Raum und stieß die Tür zu. Er fiel auf eine Flechtmatte, streckte sich aus und spürte, wie aus vielen Stellen seines Körpers das Blut floß. Aber das Brennen ließ nach, als habe das Blut Luft gebraucht, um nicht mehr zu kochen.
    Draußen tobten die Hunde, heulten und bellten und warfen sich gegen die Tür.
    »Laß sie herein«, sagte eine matte Stimme aus der Finsternis. »Sie sind gnädiger als die Krankheit. Laß sie herein, Hombre …«
    Lagarto zog die Beine an. Und jetzt erst roch er den fauligen Kot, in den sich der Mensch dort hinten im Dunkel des Hauses auflöste.
    Pierre Porelle hatte das Dorf in der anderen Richtung umfahren und erreichte das Tor von Paddys Hacienda, als sich unten in Santa Magdalena noch die Indios vor der Kirche versammelten. Er hupte schon, als er noch weit entfernt war, ein Scheinwerfer vom Wachtturm neben dem Tor erfaßte ihn und blendete ihn. Er bremste scharf und hielt den Unterarm vor die Augen.
    »Aufmachen, ihr Idioten!« schrie er. »Das Tor auf! Sie marschieren heran! Laßt mich rein, ihr Rindviecher!«
    Er stieg aus dem Wagen und prallte entsetzt zurück. Vor ihm lagen, von dem Scheinwerfer voll erfaßt, die Choleratoten. Die Geier hatten sie bereits zerfetzt

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