Im Tal der bittersüßen Träume
schwere Kreuz aus dem Köcher, um es abzustellen. Da waren plötzlich einige bis an die Zähne bewaffnete Mexikaner da, umringten ihn und bekreuzigten sich demütig.
»Das könnt ihr später!« schimpfte Pater Felix. »Glotzt Christus nicht an, helf mir, ihn auf den Boden zu stellen!«
Ein Gewimmel von Händen griff zu. Felix Moscia wurde von der jetzt wirklich nicht mehr zu haltenden Last befreit; zu vieren stemmten sie das Kreuz hoch und trugen es durch das Tor in das Innere der Hacienda. Er sah den bunten Jesus vor sich herschwanken, ein Scheinwerfer blendete wieder auf und erfaßte das Kruzifix, und das grelle Licht machte es schwerelos, ließ die Figur des Gekreuzigten durch die Dunkelheit schweben, der einzige helle, leuchtende Fleck in der Finsternis der Nacht. Als fliege er mit seinen ausgebreiteten Armen daher, so erschien der geschnitzte Christus auf dem Platz der Hacienda, und alles Kitschige an dieser Figur, die bunten Farben, die überdeutlich gemachten Wunden, die breite Dornenkrone, der leidvoll verkrümmte Körper, alles, was Pater Felix einmal ›die herrliche Scheußlichkeit, die wir brauchen, um hier am vergessensten Fleck der Welt den echten Glauben zu verbreiten‹ genannt hatte, war jetzt so überwältigend selbstverständlich, als könne sich Christus in diesem Land, bei diesen Menschen, in diesem Augenblick gar nicht anders offenbaren. Von allen Seiten liefen die Mexikaner heran, aus den Gesindehäusern rannten die Frauen mit ihren Kindern. Sie knieten nieder, als das große Kreuz an ihnen vorbeigetragen wurde, während um sie herum die Indios kreischten, sich im Wasser wälzten und die kleine Welt von Santa Magdalena unterzugehen schien im Gebrüll und in zuckenden Leibern.
Dr. Högli hatte, schon als er Evita auf den Platz nachstürmte, Jack Paddy auf der Veranda stehen sehen. Sie rannte auf ihn zu, er sah, wie Paddy den Mund aufriß, wie sein ganzes Gesicht nur ein Schreien war, unverständlich in diesem Höllenlärm.
Es war sinnlos, Evita etwas zuzurufen. Er sah, wie Juan-Christo und sie die Treppe hinaufstürmten, wie sie Paddy erreichten, wie Juan Evita zur Seite gegen die Hauswand schleuderte und dann mit einem gewaltigen Faustschlag Paddy zu Boden streckte.
Keuchend erreichte nun auch Dr. Högli die Treppe, und während sich die Menschenflut in das Schwimmbecken stürzte und die Orgie des Trinkens begann, schwankte er die Stufen hinauf und blickte Juan-Christo aus schweißüberströmten Augen an. Paddy lag ohnmächtig neben der Tür, nicht weit davon kauerte Evita an der Hauswand wie ein kleines Mädchen, das sich aus Angst in sich selbst verkriecht.
»Er hat es gerade begriffen«, sagte Juan-Christo schwer atmend. »Ich habe es noch gehört. Er hat nach Ihnen gerufen, Chef!«
Dr. Högli beugte sich über Paddy und drückte dessen Leib. »Bleib da, Evita!« rief er, als er bemerkte, daß sie aufstehen wollte.
»Hat Rosalie ihn angesteckt?« fragte Juan-Christo ruhig. »Ist es ihr gelungen?«
»Es würde dich freuen, nicht wahr?« Dr. Högli blickte hoch. Im Widerschein des Scheinwerfers, der das Kreuz beleuchtete, war Juans Mestizengesicht wie eine der alten Masken aus der Aztekenzeit. »Bist du ein Krankenpfleger oder ein Mörder?« schrie ihn Dr. Högli an. »Los! Tu deinen letzten Dienst! Einen Wagen für Paddy! Und dann will ich dich nicht mehr sehen im Hospital!«
Er drehte sich um und blickte auf Paddys Landrover, mit dem Porelle gekommen war. Er lag umgestürzt auf der Seite, zerbeult, mit eingeschlagenen Fenstern.
Juan-Christo nickte stumm. Aber er lief nicht die Treppe hinunter, sondern ins Haus, kam nach wenigen Augenblicken zurück und blieb am Verandagitter stehen.
»Rosalie ist tot!« sagte er ruhig. »Sie liegt in seinem Bett! Er wird sterben.«
»Vielleicht.« Dr. Högli richtete sich auf. Er sah, wie Pater Felix, von seinem Kreuz befreit, durch die knienden Reihen der Mexikaner ging, hinter dem Kruzifix her, das die vier Capatazos durch den Lichtkegel des Scheinwerfers schleppten. Er zeigte auf die tobenden Menschen im Schwimmbecken, streckte beide Hände aus, und irgendwoher, aus den knienden Mexikanern, tauchten plötzlich zwei kurzstielige Peitschen mit dicken, langen Lederschnüren auf, jene gefürchteten Peitschen, mit denen man einem Menschen das Fleisch von den Knochen schlagen kann. Er griff nach ihnen, schloß die Fäuste um die Stiele und ging, ohne seinen Schritt zu unterbrechen, weiter zu den kreischenden Indios.
»Vielleicht«, wiederholte Dr.
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