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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… Wasser …
    Das sind unsere Waffen, Brüder hinter der Mauer! Eimer und Schüsseln! Damit stürmen wir eure Festung! Warum schießt ihr nicht? Wir sind wie ein Heer von Heuschrecken, wir haben nur unsere Beine und Hände und Mäuler. Schießt doch! Aus unseren Toten werden wir die Treppen bauen, um über eure Mauer zu kommen! Jetzt haltet ihr uns nicht mehr auf. Amigos, riecht ihr auch das Wasser? Ein paar Schritte nur noch, ein paar kleine Schritte …
    »Das Tor auf!« schrie Porelle. Er zeigte auf Paddy, der sich schwankend am Verandagitter festklammerte. »Seht euch den großen Boß an! Er kann kaum noch stehen!«
    Paddy drückte die Stirn gegen eine der geschnitzten hölzernen Säulen, die das Vordach trugen. Was Angst war, wußte er jetzt.
    Plötzlich riß er den Mund auf, beugte sich über das Gitter und brüllte so fürchterlich, daß Porelle sich hinter dem Handwagen noch tiefer duckte.
    »Hilfe!« brüllte Paddy. Der ganze Mensch war nur noch ein Schrei. »Hilfe! Dr. Högli! Hilfe! Retten Sie mich! Hilfe!«
    Die Capatazos rannten zum Tor, schoben die Querbalken fort, rissen die Türflügel auf. Auf den Wachttürmen erloschen die Scheinwerfer. Die plötzliche Finsternis war erdrückend. Der Gesang der Indios zerbrach, nur das Klappern der Eimer war noch zu hören. Selbst Pater Felix blieb stehen, als sei die Finsternis eine Mauer, gegen die er geprallt war.
    »Sie öffnen das Tor!« rief Evita. Mit einen Ruck riß sie sich von Dr. Högli los und rannte weiter. Juan-Christo folgte ihr, dann löste sich die Ordnung auf, die Indios stürmten mit Geheul vorwärts, überrannten ein paar Mexikaner, die noch im Weg standen, stampften über die auf der Straße liegenden verwesenden Toten, quollen durch den Eingang, schreiend und ihre Eimer schwingend, Frauen und Männer achteten nicht auf Gewehre oder Granatwerfer, nicht auf Hindernisse oder andere Menschen, sahen nur das randvolle Schwimmbecken und den Wasserturm, die an die Kräne geschraubten Schläuche, mit denen man die Blumen besprüht hatte, während die übrige Welt verdorrte, und walzten mit ihren Körpern alles nieder, was ihnen im Wege war. Sie zerstampften auch den kleinen Handwagen, unter den sich Porelle geflüchtet hatte, die Woge der Leiber ließ ihn zerbersten, Hunderte von Füßen trampelten den nackten kleinen Pierre Porelle in den Staub, hämmerten ihn in den Sand. Aber das spürte er schon nicht mehr …
    Die Menschenlawine rollte weiter, erreichte das Schwimmbecken und stürzte sich schreiend und jubelnd in das köstliche Wasser. Übereinander, kreischend und vor Freude weinend, wälzten sie sich im Wasser, sie schwammen und soffen wie die Büffel, saugten sich voll, krochen aus dem Becken, wälzten sich auf den Steinplatten, krochen wieder zurück, tauchten die Köpfe ins Becken, soffen weiter. Die Rasensprenger drehten sich, die Menschen tanzten in den Strahlen, ließen sie in die weit aufgerissenen Münder sprudeln, knieten nieder, rissen die Schläuche von den Sprengern, stopften sich die Schläuche in den Mund, als wollten sie sich mit Wasser aufschwemmen, bis sie zerplatzten.
    Leben! Leben! Leben!
    Und nun ratterten die Pumpen los … Man hatte den Schalter gedreht, diesen kleinen, lächerlichen Schalter, der Santa Magdalena rettete. Das Wasser jagte wieder durch die Leitungen, unter der Dusche am Schwimmbecken hüpften drei Indiofrauen, hatten sich die Kleider vom Leib gerissen, das Wasser spritzte über ihre braunen Körper, und an dem kleinen Duschbecken lagen neun Männer und schlürften es auf wie flüssigen Honig.
    An die Mauer gepreßt, mit schreckensweiten Augen, beobachteten die Capatazos dieses Chaos des Glücks. Im Schwimmbecken balgten sich hundert Menschen, standen Leib an Leib im Wasser und tranken, und alle schrien sie, mit irre glänzenden Augen, und die Monate des großen Durstes ertranken in der Maßlosigkeit, mit der sie ihr Leben retteten.
    Pater Felix stand noch im Tor, allein mit seinem schweren Kreuz. Um ihn kümmerte sich keiner mehr. Er keuchte unter der Last, stemmte sich gegen den Längsbalken und hielt seinen bemalten Christus hoch. »So sollte es nicht sein, Herr!« sagte er heiser und blickte zum Kreuz empor. »Aber kann man sie nicht verstehen? Vom klaren Wasser werden sie betrunken! Und keinen Toten hat es gegeben – das macht mich glücklich.«
    Man hatte den zerstampften Pierre Porelle noch nicht gefunden.
    Pater Felix stemmte mit einer Kraft, von der er selbst nicht wußte, woher er sie nahm, das

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