Im Tal der bittersüßen Träume
zur Seite. Die Mexikaner auf ihren tänzelnden Pferden starrten ihn böse, aber zugleich auch verlegen an. »Was ist? Miguel, Carlos, Pablo, Federico! Warum so zurückhaltend? Die Madonna ist nur gemalt, der Christus nur aus Holz geschnitzt, die Apostel sind nur aus buntem Gips! Sie tun euch nichts! Geht hinein und schändet das Haus Gottes!«
Die Mexikaner rührten sich nicht. Sie blickten in alle Richtungen, nur nicht auf ihren Pater und auf die Kirche. Paddy ballte die Fäuste und schüttelte sie.
»Sie Teufel von einem Pfaffen!« brüllte er. »Jetzt haben Sie mir das abergläubische Pack ganz schön eingeschüchtert – gratuliere!«
»Jeder hat seine eigenen Waffen, Señor Paddy!« Pater Felix lächelte. »Ich gehe voraus. Wer mir folgen will, kann kommen.«
Er ging, Paddy immer ansehend, nach rückwärts zur Kirche und drehte sich erst um, als er schon im Inneren war.
Juan-Christo hatte sich den Mittelgang entlanggeschleppt und lag jetzt besinnungslos, lang hingestreckt, vor den Altarstufen. Dr. Högli war gerade dabei, ihn umzuwenden. Hinter dem Altar klirrte es. Evita Lagarto kam um das Marienbild herumgerannt, eine geköpfte Weinflasche in der Hand. Noch im Laufen goß sie den Wein in eines der weißen Tücher, die Pater Felix nach dem Meßopfer zum Ausputzen des Kelches benutzte.
»Ich habe mir, obgleich evangelischer Christ, erlaubt, Ihren Meßwein zu nehmen. Es ist das einzig Flüssige, was ich hier sehe!« sagte Dr. Högli. Er hatte Juan-Christo umgedreht und wischte ihm mit dem weingetränkten Tuch das blutverschmierte Gesicht ab. »Übrigens: Die MPi steht Ihnen gut, Pater. Wird Paddy in die Kirche kommen?«
»Ich hoffe es.« Pater Felix warf die Maschinenpistole am Lederriemen über die Schulter. »Wird er's überstehen?« fragte er besorgt.
»Das wird erst eine genaue Untersuchung ergeben. Sie haben ihn ganz schön zugerichtet. Noch weiß ich nicht, ob er innere Verletzungen hat.«
Pater Felix ging zu dem alten Harmonium, das hier die Orgel ersetzte, klappte es auf und setzte sich auf den wackeligen Stuhl. Dann begann er zu spielen, mit vollen Registern, ein schönes, altspanisches Kirchenlied, das die Konquistadoren in die Neue Welt mitgebracht hatten. Es hatte nur einen Schönheitsfehler: Mit diesem Lied auf den Lippen hatten die Eroberer im Namen ihrer heiligen spanischen Majestät geplündert und gemordet, die indianischen Völker ausgerottet, ihnen ihr Gold und ihre Edelsteine geraubt, die uralten Kulturen vernichtet, ihre imposanten Städte niedergebrannt. Die weißen Götter mit Bibel und Schwert …
Dr. Högli und Evita schleiften den noch immer besinnungslosen Juan-Christo in die Sakristei. Dort hoben sie ihn auf einen Tisch und lösten die zerfetzten Kleider von dem zerschundenen Körper.
»Welch ein Mensch!« sagte Evita mit einer Leidenschaft, die selbst den sonst so nüchternen Högli mitriß. »Ist Paddy überhaupt noch ein Mensch? Man sollte ihn totschlagen wie einen wildernden Hund.«
Das Dröhnen des Harmoniums drang bis zu ihnen, trotz der dicken Balkentür. Es war, als habe Pater Felix eine Riesenorgel unter den Händen. Dr. Högli richtete sich auf. Er hatte sein Ohr auf Juan-Christos Brust gelegt und das Herz abgehört. Es schlug matt, aber regelmäßig. Ganz vorsichtig begann er, den zuckenden Körper abzupalpieren. Wenn man Juan in den Leib getreten hatte, war ein Milzriß möglich. Niere und Blase schienen unverletzt; er schied keinen blutigen Urin aus.
Plötzlich, mit einem Mißklang, brach das Harmoniumspiel ab. Dr. Högli fuhr herum und griff in die Tasche.
»Bleiben Sie hier, Doktor«, sagte Evita schnell. »Ich bitte Sie, bleiben Sie hier!« Als Dr. Högli seinen Revolver aus der Tasche riß, umklammerte sie seinen Arm und stellte sich ihm in den Weg. »Bleiben Sie, Doktor!« rief sie. »Sie haben doch gehört, was der Pater gesagt hat …«
»Ich habe gehört, daß er plötzlich … Evita, lassen Sie mich los! Bitte!«
»Sie können gar nichts machen, mit diesem lächerlichen Revolver! Er hat eine Maschinenpistole … Ich flehe Sie an, bleiben Sie hier!«
Sie warf sich gegen ihn, als er sie wegdrängte, schlang die Arme um ihn, klammerte sich an ihm fest und hing so schwer an ihm, daß er keinen Schritt mehr vorwärts setzen konnte.
Er starrte sie verwundert an, ließ den Revolver zu Boden poltern und versuchte, ihre Arme wegzudrücken. Es gelang ihm nicht, sie umschlang ihn nur noch fester. »Bleib!« stammelte sie. »Mein Gott … Riccardo … bleib!
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