Im Tal der bittersüßen Träume
seine Frage wartete. »Hat dein Vater auch damit zu tun?«
»Mit der Mafia? Ich weiß es nicht, Riccardo, ich weiß es wirklich nicht.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und begann plötzlich zu weinen. »Mein Gott, wie blind habe ich bisher gelebt. Wie verflucht blind und selbstverständlich! Das Leben ist ja ganz anders, Riccardo, ganz anders. Aber keiner hat mir das gesagt.«
Zehn Minuten später überholte sie Paddys schwerer Geländewagen. Antonio Tenabo fuhr ihn, drei weitere Mexikaner hockten unter der Plane. Dort lag Pierre Porelle, durch die Injektion vorläufig gerettet, aber auch wieder den Schmerzen ausgeliefert. Högli hörte ihn brüllen, als der Wagen an ihnen vorbeifuhr und über die höckerige Straße hüpfte.
»Ich glaube nicht, daß Porelle uns töten wird«, sagte Högli, umfuhr den Karren mit dem Wasserfaß, gab Gas und folgte dem Geländewagen. Da Antonio Tenabo ihn fuhr, sah er keine Gefahr für das Wasser mehr. »Ich glaube es nicht, Evita. Jetzt nicht mehr. Ich werde ihn retten, und er müßte ein Mensch völlig ohne Gefühl sein, wenn er zum Dank mich anschließend umbringen würde. So einen Menschen gibt es nicht!«
Er irrte. Größer noch als das Gefühl der Dankbarkeit ist das Gefühl der Angst. Und die Angst lag über dem Tal von Santa Magdalena und stand der Glut nicht nach, die aus der Sonne fiel.
Drei Stunden arbeiteten Dr. Högli, Juan-Christo und Evita an Pierre Porelles mißhandeltem Körper. Dann hatten sie ihn soweit, daß man ihn in ein Bett legen konnte. Sie mußten ihm eine Narkose geben, bevor sie jeden Stachel einzeln herauszogen, die entzündeten Wunden mit einer Antibiotika-Salbe bestrichen und dann noch mit Penicillinpuder bestäubten. Nur die ganz großen Wundkrater konnten sie verbinden – an Porelles Körper war kaum eine Stelle, in der nicht ein Kakteenstachel saß.
»Wir müßten ihn einwickeln wie eine Mumie«, sagte Högli, als sie alle Stacheln entfernt hatten. »Das ist unmöglich. Auch völlig zupflastern können wir ihn nicht. Wir werden seinen Rücken mit Zellstoff belegen, dann kann er wenigstens im Bett liegen.«
Mit Antonio Tenabo hatten sie nicht gesprochen. Er hatte geholfen, Porelle ins Hospital zu tragen, und einen Augenblick sah es so aus, als wollten sich Antonio und Juan-Christo aufeinander stürzen, als sie sich sahen.
»Laß das«, sagte Matri ruhig.
Sie stand plötzlich hinter Tenabo und hatte einen alten Revolver in der Hand. Keiner wußte, wo sie ihn her hatte – es war ein so altes Ding mit einem langen, dicken Lauf, wie man sie nur noch in Waffenmuseen besichtigen kann. Aber Tenabo hatte Respekt vor ihm. Die Kugel, die aus diesem Lauf hervorschoß, riß ein Loch, das so schnell nicht zu flicken war.
Wortlos tappte er wieder hinaus, aber draußen, an Paddys schwerem Geländewagen, begann er zu brüllen, nannte Matri eine Hure und stieß üble Drohungen aus.
Niemand wußte, ob Tenabo für das, was dann folgte, einen Auftrag erhalten hatte: Mit großer Geschwindigkeit fuhr er vom Hospital geradewegs zum Dorf, duckte sich hinter das Steuer, gab noch einmal kräftig Gas und raste dann mit voller Wucht in das erste Haus von Santa Magdalena hinein. Es war eine armselige Hütte aus Holz und Blech, keines der festen Steinhäuser. Sie gehörte dem Indio Arabo Toxeplo, einem jungen Mann mit einer sanften Frau und zwei kleinen Kindern. Er konnte sich und Frau und Kinder im letzten Augenblick retten, bevor Tenabo mit dem schweren Geländewagen das Haus völlig niederwalzte. Als rase er durch einen Heuhaufen, so durchbrach er die dünnen Wände, das Dach krachte auf ihn herunter, die hintere Hauswand fiel heraus, der Wagen schoß wieder ins Freie und hinterließ einen wirren, von einer Staubwolke eingehüllten Trümmerhaufen. Arabo Toxeplo und seine Familie standen stumm und starr in dem kleinen vertrockneten Garten, die Trümmer regneten auf sie herunter.
Tenabos dicker Bullenkopf tauchte im Wagenfester auf. »Das ist der Anfang!« brüllte er. Aus den anderen Häusern kamen jetzt die Leute von Santa Magdalena. Sie stürzten nicht hervor, nein, sie traten ganz langsam vor die Türen. Jede schnelle Bewegung kostet Kraft, verringert das Leben um wertvolle Stunden. »Wir kommen wieder! Und wir werden ganz Santa Magdalena zertrümmern, bis sich der Mann gemeldet hat, der Señor Porelle in die Kakteen geworfen hat. Überlegt euch das, ihr stinkenden Ratten!«
Dann lachte er schallend, gab wieder Gas und fuhr durch das schweigende Dorf. Alle
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