Im Tal der bittersüßen Träume
pulvertrocken, sein Gaumen wie altes Leder. Trotz der Injektionen kletterte das Fieber – die Kakteenstacheln enthielten einen Wirkstoff, gegen den sich der Körper massiv wehrte. »Jetzt weiß ich es, Doc! Sie sind der sturste Kerl, den ich je getroffen habe.«
»Irrtum! Ich bin kein Held und kein Dickkopf. Ich kämpfe jetzt nur noch ums Weiterleben.« Dr. Högli erhob sich von der Bettkante. Draußen kreischten die Bremsen. »Wollen Sie geistlichen Beistand, Porelle?«
»Ist er gekommen?« Porelles Blick wanderte zur Tür. Sein Körper brannte trotz der Salben, als läge er in einem Gluthaufen. »Ich muß Ihnen beiden etwas sagen.«
»Ich weiß: Rick Haverston …«
»Er macht das berufsmäßig, Doc! Er rennt auch nicht in eine solch plumpe Falle wie ich! Bei Rick gibt es kein Entkommen. Für ihn sitzen Sie hier wie eine Schießscheibe.«
Die Tür flog auf. Staubüberzogen trat Pater Felix ins Zimmer. Er nahm den breitkrempigen Strohhut von den gelbgelackten Haaren und blieb breitbeinig vor Porelles Bett stehen.
»Wissen Sie, was passiert ist?« sagte er ohne Umschweife. »Tenabo hat das Haus von Arabo Toxeplo niedergewalzt. Wie ein Panzer … mitten hindurch! Es geht um Sie, Porelle. Ich brauche Ihre Aussage: Wer hat Sie in die Kakteen geworfen? Indios oder Mexikaner?«
Porelle fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen, aber auch die Zunge war wie ein Lederlappen. Er hatte Mühe, überhaupt noch Worte zu formen.
»Ich habe es Paddy schon erzählt. Mexikaner.«
»Er glaubt es nicht. Seine Capatazos leugnen alles.«
»Ich kann mich irren –«
»Nein! Sie irren sich nicht! Porelle, es geht um ein ganzes Dorf! Von Ihrer klaren Aussage hängt es ab, ob Santa Magdalena weiterlebt!«
»Das ist mir gleichgültig«, sagte Porelle heiser.
»Draußen stehen hundert Indios!« schrie Pater Felix. Dr. Högli zuckte zusammen und rannte zum Fenster. Auf dem Hospitalplatz, wo jeden Abend das Wasser verteilt wurde, wo die Kranken auf ihren Aufruf warteten, drängte sich Kopf an Kopf: Eingefallene gelbliche Gesichter unter runden Topfhüten oder geflochtenen Strohsombreros, zweihundert Augenpaare, zweihundert zusammengekniffene Lippen – aber ein einziges Wort würde genügen, um aus diesen Menschen eine alles niederwalzende, brüllende Woge der Vernichtung zu machen.
»Pater! Das können Sie nicht gutheißen!« sagte Dr. Högli stockend. »Ein Sturm auf das Hospital …«
»Ich kann sie nicht mehr zurückhalten, Riccardo!«
»Sie vernichten ihre letzte Überlebenschance!«
»Das wissen sie. Aber sie haben keine Wahl mehr! Tenabo hat Toxeplos Haus niedergerissen. Er hat angedroht, wiederzukommen und dann Haus nach Haus einzureißen! Wer kann sich dagegen wehren? Womit? Knüppel, Eisenstangen, Äxte, vielleicht sogar selbstgeschnitzte Speere gegen Maschinenpistolen? Hier gibt es nur noch eine Alternative: Die Entscheidung, was das kleinere Übel ist – den Arzt zu behalten und das Dorf zu verlieren, oder den Arzt zu opfern und Santa Magdalena zu behalten! Porelle, was würden Sie als Indio tun?«
»Mein Dorf behalten.«
»Na also!« Pater Felix beugte sich über den Verletzten. »Wer hat Sie überfallen? Porelle, den Sturm auf das Hospital überleben Sie garantiert nicht! Wieviel Männer waren es?«
»Drei.«
»Auf Pferden?«
»Auf Mulis. Ich würde sie nicht wiedererkennen. Als sie auftauchten, flohen die Indios, dann bekam ich einen Faustschlag ans Kinn und war halb betäubt. Einer sprach sogar englisch und sagte: Mein Herzchen, du willst den Pater umbringen? Und den Doc? Überschlaf es noch einmal! Wir geben dir eine Denkpause.« Porelle atmete laut röchelnd. »Dann – dann rollten sie mich über die Kakteen. Ich wurde verrückt vor Schmerzen und nachher besinnungslos. Später, in der Nacht, habe ich immer wieder geschrien – aber wer hört einen dort oben? Dann kam die Sonne … Und plötzlich sah ich die Geier über mir kreisen …« Porelle schloß die Augen. Ein Zittern durchlief seinen Körper. »Ich kann nicht darüber reden. Es gibt nichts Grauenvolleres.«
»Wir werden das protokollieren.« Pater Felix winkte zu Dr. Högli hinüber. »Riccardo, holen Sie Papier und etwas zum Schreiben. Monsieur Porelle wird seine Aussage unterzeichnen.«
»Paddy wird sie anzweifeln. Er wird sagen, daß sie unter Druck entstanden ist.« Dr. Högli starrte aus dem Fenster. Die Mauer der hundert Indios stand noch unbeweglich. Juan-Christo sprach auf die vorderen ein, aber sie blickten an ihm
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