Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Abendsonne heruntergeschwebt sei und sich über die Kirche gelegt habe. Pater Felix hütete sich, dem zu widersprechen. Tatsache war, daß kurz vor dem ersten Haus, das gerammt werden sollte, der schwere Wagen mit dem stählernen Schild anhielt. Die Tür öffnete sich, Antonio Tenabo fiel fast aus dem Führerhaus, kauerte sich auf die Erde, riß die Hosen herunter und befreite sich von einer widerlich stinkenden Brühe. Danach war er zu schwach, sich die Hosen wieder hochzuziehen, mit nacktem Unterleib schwankte er ein paar Schritte herum, als sei er blind, breitete die Arme aus und fiel in den Staub. Die Capatazos starrten ihn entsetzt an, aber keiner sprang aus dem Sattel und eilte ihm zu Hilfe. Erst als sie den Doktorwagen heranbrausen sahen und Pater Felix aus der Kirche stürzte, regten sie sich, sprangen von ihren Gäulen, blieben aber in sicherer Entfernung von Tenabo stehen, der das Bewußtsein verloren zu haben schien.
    Dr. Högli bremste. Die wie gelähmt herumstehenden Menschen irritierten ihn. Dann erst sah er Tenabo und Pater Felix, der neben ihm niederkniete.
    »Cholera.« Pater Felix sagte es in die lähmende Stille hinein. »Er muß es schon länger gespürt haben, und trotzdem kommt er hierher, um alles niederzuwalzen. Mein Gott, was für ein Büffel.«
    Dr. Högli drehte Tenabo auf den Rücken. Er brauchte keine weiteren Symptome. Der bestialische Gestank des Ausgeschiedenen genügte zur Diagnose.
    »Bringt ihn zurück!« sagte er laut zu den Capatazos. »Los! Ladet ihn auf den Wagen und weg mit ihm! Zur Hacienda!«
    »Das können Sie verantworten, Doktor?« sagte Pater Felix. »Er muß ins Hospital.«
    »Felix, verdammt, vermeiden Sie es, mich jetzt an irgend etwas zu erinnern, was ich als Arzt geschworen habe! Bloß das nicht! Als ich vor ein paar Minuten wegfuhr, war mir klar, daß ich ins Ende fahre. Wir alle wußten es. Juan-Christo, Matri, Evita! Mit dem Herumdrehen des Zündschlüssels und dem Anfahren ist der alte Dr. Högli tot zurückgeblieben! Sehen Sie mich nicht so an, Felix! Ich bin's nicht mehr! Ich hatte mich entschlossen zu töten!«
    »Und das wollen Sie jetzt mit Ihrer Schweizer Präzision auch durchführen, nicht wahr?« Pater Felix deckte die weggeworfenen Hosen über Tenabos Unterleib. »Hat er eine Überlebenschance?«
    »Wenn wir weiter von der Umwelt abgeschnitten bleiben – nein!« Dr. Högli sah auf Tenabo hinunter. Das bullige Gesicht hatte sich erschreckend verändert, es war fahl und spitz geworden. Das Choleragesicht. Die Haut an den Händen und Fingerkuppen schrumpfte zusammen. Es waren die typischen Waschfrauenhände, das Zeichen, wie groß der Flüssigkeitsverlust bereits war. »Was habe ich denn noch im Hospital?« Dr. Högli streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben. »Soviel, wie Sie hier sehen, Felix! Wissen Sie, was Tenabo jetzt braucht? Zu allererst einen Dauertropfeinlauf von rund drei Litern! Woher nehmen? Entscheidend für das Schicksal eines Cholerakranken ist die sofortige Flüssigkeitszufuhr. Mr. Jack Paddy ist auch zum Schicksal von Tenabo geworden.« Er ließ die Hände an den Körper zurückfallen. »Ich kann nicht mehr helfen, Pater. Das ist jetzt Ihr Fall! Beten Sie!«
    »Zum Hospital!« Pater Felix winkte den herumstehenden Capatazos. »Sofort mit dem Wagen ins Hospital.«
    »Auf die Hacienda!« schrie Dr. Högli zurück. »Ich lasse mir nicht die anderen Kranken verseuchen.«
    »Gut! Dann bringt ihn in die Kirche!« Pater Felix erhob sich von den Knien. »Gott hat keine Angst vor Cholera.«
    Er sah Dr. Högli mit einem langen, stummen Blick an, wandte sich dann ab und lief den vier Mexikanern voraus, die Tenabo keuchend in die Kirche schleppten. Die Indios standen noch immer unbeweglich vor ihren Häusern.
    Ein paar Minuten später betrat Dr. Högli die Kirche. Pater Felix war allein mit dem besinnungslosen Tenabo. Man hatte ihn vor den Seitenaltar auf den Steinboden gelegt, unter die Figur des Apostels Petrus, der, bunt bemalt, aber streng blickend, auf einem Podest stand. Es stank infernalisch. Tenabo hatte wieder ausgeschieden.
    »Petrus infiziert sich nicht«, sagte Pater Felix.
    »Verzeihen Sie, Felix. Ich hatte die Nerven verloren.« Dr. Högli ging neben dem ohnmächtigen Tenabo in die Hocke. »Aber der Gedanke, wissend mit Evita in den Tod zu gehen … Ich bin kein Held, Felix, ich sage es noch einmal. Ich – ich sah nur noch Vernichtung. Jetzt kann ich verstehen, was Haß ist.« Er tastete nach Tenabos Puls, er war kaum

Weitere Kostenlose Bücher