Im Tal der bittersüßen Träume
gleichen Priester mußte man vernichten, weil er Jack Paddy vernichten wollte und damit die Arbeit von ganz Santa Magdalena. Man stand Schlange vor dem Hospital, ließ sich operieren und alle nur erdenklichen Krankheiten ausheilen – aber der gleiche Arzt, der allen half und den jeder brauchte, mußte getötet werden, weil auch er gegen den Peyotl war. Wer hatte nun recht in Santa Magdalena? Für wen sollte man sich entscheiden?
Es lief ein Riß durch alle diese Menschen hier, sie waren wie in zwei Teile gespalten, und jeder Teil dachte und fühlte anders. Wie kommt man aus diesem Teufelskreis heraus? Wozu man sich auch entscheidet, die Verlierer waren immer die Menschen von Santa Magdalena.
»Sie bleiben also?« fragte Cuelva völlig hilflos.
»Ja!«
»Und Sie, Señorita?«
Evita zeigte auf Dr. Högli. »Er hat die Antwort gegeben.«
»Es wäre die letzte Möglichkeit gewesen …« sagte Cuelva vorsichtig.
»Geh hinaus und grüße Pater Felix von mir.« Dr. Högli knöpfte seinen weißen Arztkittel zu. Es war Zeit zur Visite. Nach der Visite kam die Wasserausgabe und dann die ambulante Behandlung. Der Operationsplan war leer. Auch die Krankheiten schienen auszutrocknen.
»Noch etwas, Jorge.« Evita stand auf. Sie nahm ihren weißen Kittel vom Haken und streifte ihn über. »Frage Pater Felix, ob er bereit ist, den Doktor und mich morgen zu trauen. Morgen ist Sonntag.«
»Ich frage ihn, Señorita.« Cuelva grinste dümmlich. Sein Blick schielte zu Dr. Högli. »Soll ich …?«
»Ja.« Dr. Högli wartete, bis Cuelva das Zimmer verlassen und hinter sich die Tür zugezogen hatte. »Du bist verdammt tapfer, Evita«, sagte er stockend.
»Nein. Ich liebe dich nur.« Sie band die Haare mit einem roten Band hoch und tat ein paar Tropfen Parfüm auf ihre Handflächen. Dr. Högli lächelte bitter. Kosmetik in der Hölle – während die Welt verdurstete und im heißen Staub unterging. Sie ist der Traum von einer Frau, dachte er. Wenn ich ihr woanders begegnet wäre, in Chihuahua, in El Paso, in Mexico City, an der Küste, an einem Pool, in einer Hotelhalle, einer Bar, ganz gleich wo, ich wäre ihr aus dem Weg gegangen aus dem einfachen Gefühl heraus, daß diese Frau nicht einen einzigen Blick an den langweiligen, ungelenken, zwar sportlich aussehenden, aber aus einer ganz anderen Welt kommenden Dr. Högli verschwenden würde. Eine Frau wie Evita Lagarto besaß ihre eigene Welt. Und nun stand sie hier, band den Gürtel des weißen Kittels zu einer Schleife, bereitete sich auf die Visite in einem Indiohospital vor und hatte gesagt: Ich liebe dich. Wir werden morgen heiraten!
»Wir sollten damit warten«, sagte er.
Sie blieb unter der Tür stehen, den Griff in der Hand. »Womit, Riccardo?«
»Mit dem Heiraten. Ich möchte, daß du dich in Sicherheit bringst! Nein! Sag nicht wieder: Ich liebe dich! Gerade das ist ein Grund, weshalb du aus dem Tal mußt. Ich kann es nicht mehr verantworten, daß du bei mir bleibst, wenn du dich in Sicherheit bringen kannst. Verstehst du das nicht?«
»Nein.«
Ihre großen schwarzen Augen waren wieder klar. Die Angst war verschwunden.
»Ich kann doch nicht hilflos hier herumstehen und dich töten lassen!« schrie er. »Was kann ich denn tun? Warten, nichts als warten! Aber jetzt, jetzt bietet man mir die letzte Chance, dich zu retten!«
»Du müßtest mich schon betäuben, um mich wegbringen zu lassen«, sagte sie ruhig.
»Vielleicht tue ich es.« Dr. Högli ging zur Tür. Dort standen sie sich ganz nahe gegenüber, er roch ihr süßliches, nach exotischen Blüten duftendes Parfüm, ihr Mund war ein wenig geöffnet, die schmalen Flügel ihrer geraden, schönen Nase blähten sich kaum merklich, aber das alles zusammen machte ihm deutlich, wie groß ihre innere Erregung und wie stark ihre Beherrschung war. »Evita«, sagte er heiser, »es hat doch keinen Sinn, daß du dich opferst. Für was denn? Das Leben ist doch so verdammt schön.«
»Wofür opferst du dich denn, Riccardo?«
Er umfaßte ihren schmalen Kopf mit beiden Händen und zog ihn zu sich heran. Als er sie küßte, blieben ihre Lippen geschlossen, sie waren eiskalt, wie er mit Schrecken feststellte.
»Fühlst du dich nicht wohl?« fragte er. Untertemperatur … bei Cholerakranken fällt die Körpertemperatur oft in erstaunliche Tiefen. Neue Angst ergriff ihn. Er riß Evitas Arme hoch, fühlte den Puls, tastete mit der anderen Hand ihren Hals ab. Aber dort war die Temperatur normal, auch als er mit seinen Händen unter
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