Im Tal der bittersüßen Träume
festhalten, damit du nicht aus dem Bett springst. In uns allen ist diese wahnsinnige Angst, und sie wird nicht besser, wenn man sich einredet: Alles, was in den nächsten Stunden mit mir geschieht, ist nur Pflichterfüllung!«
»Ich kann nicht flüchten, Evita! Mein Gott, ja, sie würden es alle verstehen, aber ein Funken von Mißachtung bliebe doch in ihnen zurück. Und dieser Funken würde zum Feuer, wenn ich eines Tages wiederkommen sollte. Seht, da kommt der Feigling von einem Doktor zurück ins Tal, würden sie alle denken. Als wir ihn brauchten, hat er sich in der Nacht heimlich mit seiner Geliebten weggeschlichen. Was hat er wohl draußen getan, na, Amigos? Sich gebadet, in Acapulco unter den Palmen gelegen, abends zum Tanzen gegangen und dann ins Bett mit seiner schönen Evita! Wir aber, die Kranken, wir sind verdurstet, wir haben uns die Cholera aus dem Leib geschissen, sind im Typhus verglüht, haben Sand statt Medikamenten fressen müssen. Und nun kommt er wieder, im weißen Kittel, als sei nichts gewesen. – Sie werden das nie zu mir sagen, sie brauchen mich nachher genauso wie jetzt – aber in ihren Augen werde ich es lesen. Ich werde nicht mehr ihr Freund sein, nicht mehr ihr Padre Riccardo, sondern nur ein Mann, der Pillen verteilt.«
»Ich bin nicht deine Geliebte, ich bin deine Frau!« sagte Evita laut. Dr. Högli nickte. Sie hatte es in den letzten Tagen oft gesagt, und er hatte jedesmal eine Art Glücksgefühl gespürt und dazwischen den Zweifel, ob nicht alles nur eine Laune sei. Eine Evita Lagarto als Frau eines Armenarztes, man sagt doch, es geschehen keine Märchen mehr in dieser nüchternen Welt. So wie sie es jetzt gesagt hatte, war es keine Liebeserklärung mehr, sondern eine Anklage. So wenigstens empfand er es.
»Ich kann nicht weg!« wiederholte er gequält.
»Glaubst du, deine Kranken, für die du dich opfern willst, würden dir das jemals danken?«
Dr. Högli fuhr herum. Jorge Cuelva stand in der Tür und hatte den Hut so hoch an sein Gesicht gezogen, daß man glauben konnte, er kaue an der Krempe. Er schlug die schwarzen Augen nieder, als Dr. Högli ihn anblickte.
»Soll ich hierbleiben, Jorge?« fragte er laut.
»Wir sind alle bereit, Sie in Sicherheit zu bringen«, antwortete Cuelva ausweichend.
»Ich will nicht wissen, zu was ihr bereit seid, ich will wissen, ob ihr mich braucht!« schrie Dr. Högli.
Cuelva schluckte. An mir hängt es jetzt, dachte er verzweifelt. Mir werfen sie jetzt alles auf den Kopf. »Natürlich brauchen wir Sie, Doktor«, sagte er langsam. »Aber – man wird Sie töten, Doktor!«
»Habt ihr wirklich solche Angst? Da kommt ein gewisser Haverston ins Tal und alles liegt auf der Erde! Ein einziger Mann, Jorge!«
»Wissen Sie, was er mit Polizeichef Femola gemacht hat, Doktor?« Cuelva drehte den Hut wieder in seinen Händen. »Und wie er Emanuel Lopez zugerichtet hat?«
»Ich habe es gehört. Und nicht nur das …« Und jetzt sagte Dr. Högli etwas, was er nie für möglich gehalten hätte: »Habt ihr keine Revolver?«
»Er ist schneller als wir. Und er ist vorsichtiger als ein Puma.«
»Habt ihr noch nie einen Puma gejagt?«
Cuelva wischte sich mit dem Unterarm über das schweißnasse Gesicht. Nach Femolas schrecklichem Tod hatte unter den Capatazos eine Versammlung stattgefunden. Sie waren im Eßsaal ihres Hauses zusammengekommen und hatten darüber nachgedacht, wie man diesen Americano bestrafen könnte. Was man mit Pierre Porelle getan hatte, war hier unmöglich. Man kann eine Bestie nicht zu einem Spieltierchen machen, indem man ihr ein Glöckchen umhängt. Es gab nur eine Entscheidung, und das war die vollkommene Vernichtung. Bis man aber dazu Gelegenheit hatte, konnte Haverston bereits Pater Felix oder Dr. Högli umgebracht haben.
Überhaupt, wer konnte in Santa Magdalena noch zwischen richtig und falsch unterscheiden? Der Patron hatte den Padre und den Doktor auch töten wollen, aber er hatte es der Sonne oder den Indios und ihrem großen Durst überlassen. War das etwas anderes als das, was Haverston auf schnellere Art erreichen wollte? Man sperrte den Indios das Wasser, um sie zum Mord aufzuputschen, man schnitt die elektrischen Leitungen durch, blockierte die einzige Straße ins Tal – alles nur, um auf der einen Seite zu vernichten und auf der anderen Seite weiterhin ungestört die Peyotl-Felder zu bestellen und den Rauschhanf anzubauen. Welch ein Durcheinander! Man betete in der Kirche und beichtete bei Pater Felix – aber den
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