Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
vorne beugte, um jedes Wort mitzukriegen, die verschiedenen Nuancen in ihrem Ausdruck. Sie hatten glücklicherweise keine Ahnung, dass er sie beobachtete. Oh ja, Luke war an ihr interessiert, und nach seinem Verhalten zu schließen, war es mehr als nur oberflächliches Interesse.
Ein Anflug von bitterer Eifersucht schnürte seine Kehle zu. Er hustete und schluckte sie runter. Was zum Teufel sollte er von dieser neuen Entwicklung halten? Wenn Luke sich auf Carlas Seite geschlagen hatte oder sich mit der Absicht trug, könnten sich dadurch die Machtverhältnisse auf Rhein-Schloss verändern. Carl würde darüber nicht gerade erfreut sein, aber Luke war sein Erbe und der Einzige in der Stenmark-Familie, der in der Lage war, ihre riesigen Besitztümer zu verwalten. Lisel war völlig ungeeignet, weil ihr Lukes Führungsqualitäten fehlten und die meisten Angestellten sie nicht mochten. Die Dinge konnten nun wirklich interessant werden. Carla und Greta waren schon miteinander befreundet, und wenn Carla und Luke sich jetzt auch noch näherkamen, könnte es zu einer - wie nannten es die Franzosen noch mal? - tour de force kommen, bei der Lisel den Kürzeren ziehen würde. Denn zwischen Tante und Nichte gab es ohnehin keinerlei Zuneigung.
Nicht dass Josh sich irgendetwas aus Lisel machte, wirklich nicht. Seine eigenen Chancen in Bezug auf Rhein-Schloss waren das, was ihn interessierte. Und wenn Carla von der Familie akzeptiert wurde, wollte sie ihn bestimmt nicht um sich haben, besonders nicht nach dem, was er an jenem Abend auf dem Weingut mit ihr gemacht hatte. Er wurde rot, als er sich daran erinnerte, wie peinlich es gewesen war, als Carla und Kim seine Pläne vereitelt hatten.
Josh, der ein Opportunist erster Güte war, hielt es für klug, einen Plan zu entwickeln, um der Romanze der beiden Einhalt zu gebieten. Ehe Lisel morgen auf Geschäftsreise nach Melbourne fuhr, würde er ein wichtiges Gespräch mit ihr führen müssen.
17
Frühling 1995
C arla saß auf einer Parkbank in der Nähe des Sees im Coulthard Reserve und hielt ihr Gesicht in die warme Sonne. Sam und Su Lee kurvten mit ihren Rädern im Park herum und kamen nur kurz vorbei, wenn sie etwas zu trinken oder einen Snack brauchten. Sie sausten gerne mit ihrem Fahrrad hier rum. Und so früh am Tag waren auf diesem Weg nur wenig Fußgänger unterwegs, die sie umfahren könnten. Carla sah auf ihre Armbanduhr. Es war 10.30 Uhr. Der Gottesdienst in der Holy Trinity Lutheran Church würde bald zu Ende sein, und Greta hatte angedeutet, dass sie eventuell zu ihr in den Park kommen würde, um etwas mit ihr zu plaudern. Carla freute sich sehr auf ihre gelegentlichen Treffen. Ihre Tante war charmant und warmherzig, und jetzt, da sie und Luke friedlich miteinander umgingen, lernte Carla ihre Familie langsam besser kennen, natürlich mit Ausnahme ihres Großvaters und Lisel.
Im Winter hatte sie irgendwann einmal auf einem von Sams Football-Spielen Carl in der Menge entdeckt, aber sie war klug genug gewesen, nicht auf ihn zuzugehen. Bedauerlicherweise wirkte er irgendwie älter, und seine Schultern waren noch gebeugter als damals im Restaurant. Er sah ernst und streng aus. Er war so lange geblieben, bis Sam ein Tor geschossen hatte, und als sie das nächste Mal in seine Richtung gesehen hatte, war er verschwunden gewesen.
Je öfter sie an ihren Großvater dachte, desto stärker wurde ihr Mitgefühl. Obwohl ständig viele Leute um ihn herum
waren, war er bestimmt die meiste Zeit seines Lebens einsam - unter anderem wegen seiner Einstellung und den strengen Maßstäben, nach denen er lebte. Er hatte seine Frau verloren, die nur achtundvierzig Jahre alt geworden war. Dann hatte er Rolfe verbannt, und danach waren Kurt und Marta ums Leben gekommen. Kein Wunder, dass seine Hoffnungen jetzt auf Luke lagen. Sie beneidete ihren Cousin nicht darum, die Last zu tragen, die mit Rhein-Schloss einherging. Allerdings war er streng genommen gar nicht ihr leiblicher Cousin, dachte sie, während sie die Aussicht genoss.
Aufgrund des heftigen Winterregens hatte der North Para River eine Menge Wasser, und der See beherbergte jetzt verschiedene Arten von Wildenten, ein Paar schwarze Schwäne und zwei flaumige Schwanenjunge. Der Frühling, ihr dritter im Barossa Valley, war eine wunderschöne Zeit. Es war eine ständige Lernerfahrung für sie, den Zyklus der Rebstöcke zu verstehen. Zusammen mit Angie hatte sie die Rebstöcke inspiziert, die bereits Knospen trugen, und sie
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