Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
sie sich entscheiden, wohin sie wollte. Wie sie gehört hatte, war Saigon eine große Stadt, und man konnte sich leicht dort verstecken. Sie brauchte unbedingt Geld, um Leute zu bestechen und zu überleben. Das war die schwierigste Aufgabe, weil Tuen den Prostituierten nur einen Hungerlohn zahlte. Ferner musste sie ihr Aussehen verändern, damit Tuens Männer, die er ausschicken würde, um sie zu finden und zurückzubringen, sie
nicht erkennen würden. Und... wenn sie bei diesem Versuch scheiterte, wäre alles verloren.
Das Schicksal meinte es endlich gut mit Kim, denn ihre Flucht gelang. Das Leben auf den Straßen von Saigon war jedoch hart, fast genauso hart wie im Bordell. Sie schlug sich mit Schläue durchs Leben, lernte, wie man stiehlt, lügt, kämpft und überlebt, bis Schwester Dinah sie fand und ihr zeigte, wie ein gutes Leben aussehen konnte.
Sie war jetzt hellwach und hielt die Tränen zurück, die bei diesen Erinnerungen hochkamen. Dann hörte sie, wie Tran mit seinem Motorrad in den Hof fuhr und den Motor abstellte. Sie spähte auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war 1.35 Uhr. Sie stieg aus dem Bett, tapste durch den Wohnwagen und sah, wie Tran gerade die Kühlschranktür öffnete, um sein Abendessen zu suchen.
»Wo warst du?«
Statt ihre Frage zu beantworten, sagte er verärgert: »Ich bin kein Kind mehr. Ich gehe, wohin ich will.« Er setzte sich hin, ignorierte sie und verschlang gierig das kalte Essen aus dem Behälter.
»Du spielst, ich weiß, dass du das tust. Das muss sofort aufhören.« Kim setzte sich ihm gegenüber an den kompakten Einbautisch. »Du bist genau wie unser Vater, aber ich erlaube dir nicht, dass du alles, was wir haben, ruinierst, indem du dich so töricht benimmst.«
»Töricht!« Er funkelte sie streitlustig an. »Du wagst es, mich töricht zu nennen!« Wütend streckte er seine Brust raus. »Ich bin erwachsen, und mein Geld gehört mir. Ich habe es selbst verdient. Du«, er stocherte mit seinem Stäbchen in die Luft, »kannst mich nicht aufhalten, Schwester.«
Das Traurige war, sie wusste, dass er recht hatte. Sie konnte ihn nicht aufhalten. Ihre Mutter hatte versucht, die Glücksspiele ihres Vaters einzuschränken, mit dem Resultat,
dass er sie schlug. Schließlich hatte Chou Loong tatsächlich aufgehört zu spielen aus Angst, dass er in den Ruin getrieben würde, wenn er weiterhin verlieren würde. Der Spieldrang war jedoch nach wie vor da und machte aus ihm einen unglücklichen, launischen Mann. Sie erinnerte sich, wie zornig und frustriert er gewesen war und dass er es oft an seiner Familie ausgelassen hatte.
Sie blickte an Tran vorbei aus dem Fenster. Draußen war es völlig finster, aber in dieser Dunkelheit standen die Rebstöcke, die mit prallen Früchten beladen waren. Sie würde nichts bei Tran erreichen können angesichts seiner aufgeblasenen Selbstgefälligkeit und seiner schlechten Laune. Also lenkte sie ihre Gedanken auf die bevorstehende Ernte. Es waren lediglich noch ein paar Tage bis dahin, und Carla und Angie brauchten jede erdenkliche Hilfe, auch Trans. Jetzt war nicht die Zeit dafür, ihn auf sein Problem anzusprechen oder ihm zu sagen, dass er, wenn er nicht aufhören würde zu spielen, alleine in der Welt zurechtkommen müsse. Es würde sie tieftraurig machen, ihrem Bruder ein solches Ultimatum zu stellen, denn sie hatten in den letzten Jahren eine Menge durchgemacht. Aber es musste sein. Tran musste entscheiden, was für ihn wichtig war, das Glücksspiel oder seine Familie. Doch jetzt würde sie erst einmal damit warten, bis die Ernte vorüber war.
Ohne ihm zu antworten, eine Taktik, die ihn ärgern würde, weil Tran es hasste, ignoriert zu werden, stand sie auf, ging wieder in ihr Bett, zog aber vorher demonstrativ die Vorhänge vor die Nische.
»Du bist heute Abend sehr nachdenklich«, stellte Josh fest. Sein Blick ruhte auf Carla, die ihm am Esszimmertisch gegenübersaß. Nur Carla, Josh und Sam waren heute zum Abendessen da gewesen. Angie war schon früher gegangen,
weil sie zu einem Treffen in der Stadt musste, und nach dem Essen war Sam davongerannt, weil er mit Su Lee spielen wollte, bis es dunkel wurde.
Sie schaute ihn an, dann wandte sie den Blick ab. »Findest du? Tut mir leid. Ich denke dauernd an die Ernte. Sie fängt in ein paar Tagen an.« Carla achtete darauf, dass sie ihm ein bedauerndes Lächeln schenkte.
Sie wusste, warum sie so wortkarg war. Tagelang, ja sogar seit Wochen hatte sie versucht, eine Lösung zu finden, wie
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