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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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Mann da?«
    Ich ließ den Blick über den Hof schweifen, um festzustellen, was Jeremys Aufmerksamkeit erregt hatte, und sah einen Mann neben dem alten Brunnen stehen. Als ich ein Kind
war, hatte man die Stelle auf dem Feld mit vier Zaunpfählen markiert, doch jetzt war sie durch Pappeln, Wildrosen und Schneebeeren verborgen. Der Mann stand inmitten der Büsche, und aufgrund seiner gebeugten Haltung vermutete ich, dass er schon etwas älter war. Er trug ein Holzfällerhemd und einen weichen Filzhut, was eher zu einem regnerischen Frühlingstag als zu der rauchverhangenen Augusthitze gepasst hätte. Seine Brillengläser blitzen auf, als er in unsere Richtung sah.
    »Mom, wer ist das?«, fragte ich.
    »Wo?«
    »Ein alter Mann steht neben dem Brunnen.«
    »Wahrscheinlich ein sensationslüsterner Kerl, der einen besseren Blick auf das Feuer haben will«, sagte mein Vater. »Vermutlich gibt es viele Leute, die am Straßenrand anhalten und zuschauen.«
    Meine Mutter setzte sich auf und starrte hinaus. »Beim Brunnen?«
    »Das war er jedenfalls. Jetzt kann ich ihn nicht mehr sehen. Er muss verschwunden sein.«
    »Gibt’s hier Spielzeug?«, fragte Jeremy.
    »Warum gehst du nicht in mein früheres Kinderzimmer und suchst dir etwas heraus?«, schlug ich vor.
    Er hüpfte davon, um mit meinen wenigen alten Spielsachen zu spielen, die meine Mutter aufbewahrt hatte.
    »Wir sollten uns um die Wasserorte kümmern«, sagte Ezra.
    »Du meinst, um die Wasserversorgung.«
    »Ich habe ihn schon verstanden, meine Liebe«, sagte meine Mutter.
    Ezra zeigte mit dem Kinn zum alten Brunnen. »Gibt es dort Wasser?«

    »Der Brunnen wurde aufgefüllt«, erklärte ich ihm. »Jedenfalls zum Teil.«
    »Ich erinnere mich, wie mein Vater die Stelle für den Brunnen ausgewählt hat«, sagte meine Mutter. »Ich war damals vielleicht vier oder fünf. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, meiner Mutter ein neues Zuhause zu bauen, also sind wir alle aufs Feld gewandert, um nach Wasser zu suchen.«
    Diese Geschichte hatte mir meine Mutter schon viele Male erzählt. Mein Großvater hatte einen Weidenstock als Wünschelrute benutzt, da Weiden zum Wasseraufspüren am besten geeignet seien, doch er hatte kein Glück. Die Wünschelrute schlug nicht aus. Er geriet in Wut und warf den Stock auf den Boden, und meine Großmutter beruhigte ihn wie schon so oft davor und benutzte die Rute dann selbst, um eine geeignete Stelle zu finden. Er hat den Brunnen genau an dieser Stelle ausgehoben, eigenhändig. Als meine Mutter ihn unten im eigenhändig gegrabenen Loch sah, wirkte er nicht wie der Vater, den sie kannte. Sein Gesicht war überdimensional groß, seine Beine liefen nach unten hin spitz zusammen und endeten in Stiefeln, die viel zu klein für ihn schienen. Meine Mutter war daran gewöhnt, zu ihrem Vater emporzuschauen. Aber da stand sie nun und blickte auf ihn hinab.
    »Es dürfte doch nicht schwer sein, hier Wasser zu finden?«, fragte Ezra. »Immerhin ist es ein Sumpfgebiet.«
    »Er hätte bloß nach Weiden Ausschau halten müssen«, sagte mein Vater. »Wo Weiden sind, ist auch immer Wasser.«
    »Er schien einfach kein Händchen für Wünschelruten zu haben«, sagte meine Mutter. »Es fiel ihm schon schwer genug zu sehen, was dort war, genau vor seiner Nase, geschweige denn etwas zu erkennen, was unter der Erde verborgen lag.« Meine Mutter ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. »Wie dem auch sei, wir haben das neue Haus nie gebaut. Meine Eltern
wohnten schlussendlich bis an ihr Lebensende in dem Haus, in dem wir jetzt sitzen.«
    »Also ist der Brunnen versiegt«, sagte Ezra.
    »Früher gab es mal Wasser«, erwiderte sie. »Auch wenn es nie wirklich sauber und klar war. Aber er hat den Brunnen zugeschüttet.«
    »Warum sollte er so etwas tun?«
    Sie zögerte einen Moment, bevor sie ihm die Geschichte erzählte, wie mein Großvater dort eine Mauleselin vergraben hatte. Nelly, ein gutmütiges Zugtier, auf dem meine Mutter oft ritt. Doch sobald mein Großvater die Zügel ergriff, versteifte es sich und bewegte sich keinen Zentimeter. Er verprügelte das Tier mit jedem Stück Holz, das er gerade in Händen hielt: einer Weidenrute, dem Ortscheit, einem Knüppel. Als es schließlich austrat und meinen Großvater am Bein traf, schlug er es mit einem Weidenstock aufs Maul und zwang meine Mutter, dem Tier das Halfter anzulegen und es zum Brunnen zu führen, während er sein Gewehr holte. Die Mauleselin hätte alles getan, was meine Mutter von ihr verlangte. Mein

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