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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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geweckt.«
    »Nein, ist schon in Ordnung.«
    Er machte einen Schritt zurück, um mich einzulassen, und ich trat in den hohen, offenen Wohnbereich. Jude hatte die Balken für das Haus aus den Birken auf seiner Farm geschlagen. Topfpflanzen hingen von diesen Balken, schirmten das Licht von den Fenstern ab und gaben dem Zimmer den kühlen Anschein einer Unterwasserwelt - eine Erleichterung nach der bedrückenden, rauchigen Hitze draußen. Der Küchenfußboden war erst kürzlich bis auf die Dielung abgedeckt worden; ein Stapel neuer Fliesen war in einer Ecke aufgeschichtet, um bald verlegt zu werden. Ein neuer Computer stand auf dem Küchentisch. Ansonsten war das Haus noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Derselbe alte winzige Kühlschrank von der Größe einer Hotelminibar, der Holzofen, der das Haus im Winter heizte, der grüne Elektroherd zum Kochen. Als ich bei Jude und Lillian einmal zu Besuch war, hatte er in dem Ofen Kürbissuppe mit reifem Cheddarkäse für mich überbacken und in der Kürbisschale serviert.
    Vom Wohnzimmer führte eine steile Treppe zur Galerie, auf der sich der Schlafraum befand. Es gab keine Wand zwischen dem Schlafzimmer und dem Wohnbereich weiter unten. Von meinem Platz aus konnte ich die angehobene Decke, Judes jüngste Umbaumaßnahme, und das Bett sehen. Die hohe weiße Decke, der Holzrahmen der neuen, großen Fenster, die strahlend weißen Vorhänge. Jetzt war es ein fröhlicher, lichtdurchfluteter Raum, der im schroffen Gegensatz zu dem
dunklen, vollgestopften Schlafzimmer stand, das er sich mit Lillian geteilt hatte.
    »Ich hätte vorher anrufen sollen«, sagte ich.
    Jude zog sich das Laken fester um den Körper. »Nein, ich bin froh, dass du gekommen bist.«
    »Jeremy, das ist Jude.«
    »Hallo, Jeremy.«
    »Hi.«
    »Ich wette, du hättest gern ein Glas Apfelsaft«, sagte Jude.
    »Ja, bitte«, erwiderte Jeremy.
    »Und du? Möchtest du eine Tasse Tee? Oder trinkst du heutzutage lieber Kaffee?«
    »Nur Wasser«, sagte ich.
    Ich beobachtete ihn bei seinem Weg in die Küche. Das Muskelspiel in seinem Rücken. Als er uns die Gläser reichte, glitt mein Blick zu dem Laken hinab, das er sich umgebunden hatte. Er lachte. »Ich sollte mir wohl etwas anziehen.«
    Ich nahm einen Schluck Wasser und sah ihm nach, wie er die Treppe erklomm und das Laken immer weiter nach oben glitt. Als er das Laken fallen ließ, blickte ich weg.
    »Der Mann ist nackig«, sagte Jeremy.
    »Er zieht sich an. Es ist unhöflich, jemanden beim Ankleiden anzustarren. Sieh mal die schöne Vase dort! Jude hat sie getöpfert. Und hier hängt ein Bild von der lustigen Frau, die wir in Judes Auto gesehen haben. Das Foto habe ich geschossen.«
    Das Jahr, in dem ich die Schaufensterpuppe fotografiert hatte, war ungewöhnlich trocken gewesen und der Seespiegel derart gesunken, dass der neu gebaute Pier nicht aufs Wasser hinausführte, sondern auf schilfigen Schlamm. Die Hausboote, die normalerweise am Kai vertäut waren, lagen im Schlick. Zu jener Zeit arbeitete ich als Zeitungsreporterin
und war auf der Suche nach einem Foto, um spöttisch aufzuzeigen, wie sehr das Touristenstädtchen den Launen des Wetters ausgeliefert sein konnte. Jude und ich überredeten damals den Kurator, uns einige der alten Schaufensterpuppen zu überlassen, die im Keller des städtischen Museums aufbewahrt wurden. Wir schleppten sie zum Pier und drapierten sie so im Schlamm, als wären es Touristen beim Spielen. Eine Menschenmenge versammelte sich über uns auf dem Kai, die jede neue Position der Schaufensterpuppen mit Johlen und Klatschen begleitete. Mit Jude stellte ich lauter verrückte Dinge an, ohne dass es mir peinlich wurde. Ezra hätte ich niemals für eine solche Aktion gewinnen können.
    »Das bist ja du, Mommy!«
    Ich blickte hoch, zu dem Punkt an der Wand über uns, auf den Jeremy zeigte. Dort war sie, mein jüngeres Ich, lächelnd. »Jude hat mich gemalt«, sagte ich. »Er malt nämlich auch.«
    »Früher jedenfalls«, sagte Jude vom Schlafzimmer aus.
    »Auf dem Bild da hast du einen großen Bauch«, sagte Jeremy. »Du bekommst ein Baby, wie Jeannie.« Jeannie, unsere Nachbarin in Cochrane, passte an den Tagen, an denen ich bei der Zeitung arbeitete, auf Jeremy auf. Sie war jetzt im achten Monat. Ich würde bald einen anderen Babysitter finden müssen, und zwar schnell. »Das bin ich in deinem Bauch.«
    »Nein, Mäuschen.« In Wirklichkeit war ich nie so schwanger wie auf dem Bild gewesen. Man hatte nicht viel gesehen. Das hier

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