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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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Mund verkrampfte sich, sein Hals krümmte sich spastisch nach hinten, und er schlug mit den Beinen gegen seine Bettdecke.
    »Val!«, schrie ich. »Val!«
    Meine Schwester taumelte ins Zimmer, und Ezra folgte wenige Augenblicke später. »Was zum Teufel …?«, rief er, als er sich im Zimmer umblickte und die Marienkäfer sah. Die Zuckungen meines Vaters ließen nach, während sich Val über ihn beugte. »Ein Anfall«, sagte sie und legte meiner Mutter beruhigend eine Hand auf den Arm. »Das ist ganz normal, wenn der Körper langsam den Geist aufgibt.«
    Mein Vater schien sich einen Moment zu entspannen, bevor er im nächsten die Augen weit aufriss. Er starrte zur Decke, zu den Marienkäfern. Sein Atem setzte aus. Ich zählte die Sekunden, beobachtete seinen Herzschlag, der seine Brust leicht anhob, und hoffte inständig, dass er wieder Luft holen würde. Doch das tat er nicht.
    Meine Mutter schrie: »O nein! Großer Gott, nein!« Ich legte ihr den Arm um die Schultern, während sie herzzerreißend schluchzte. Val umarmte meinen Vater und presste ihr Gesicht an seines. Ezra zog Jeremy zurück, weg vom Bett.
    »Ich will ein paar Minuten mit ihm allein sein«, sagte meine Mutter, und wir alle verließen das Zimmer. Als ich die Tür hinter mir zumachte, beugte sich meine Mutter über den Körper ihres Mannes, legte ihm eine Hand auf die Wange und flüsterte: »Ich liebe dich so sehr.« Die Marienkäfer stürzten von der Decke, schwirrten in einer Wolke um ihren Kopf und landeten sanft, beinahe liebevoll, auf ihren Schultern und in ihrem Haar.

24.
    ICH SCHLOSS DIE Tür zu Vals altem Kinderzimmer, in dem Jeremy ein Nickerchen machte, und suchte meine Mutter. Sie stand vor dem Wandschrank in ihrem Zimmer und warf Anzughemden auf das Krankenhausbett. Vereinzelt krabbelten umherirrende Marienkäfer über das Kopfbrett des Bettes und die Fotos auf der Kommode, doch die meisten Insekten hatte sich in den vielen Ritzen und Spalten der Wände verkrochen. Das Radio lärmte in der Küche, wie schon während des ganzen Vormittags, und berichtete uns von den neuesten Entwicklungen des Waldbrands. Genau wie mein Vater vorhergesehen hatte, trieben die starken Windböen das Feuer schneller als erwartet bergab. Es hatte sich einen Weg durch die Feuersperren gebahnt und breitete sich nun in Richtung der am dichtesten besiedelten Gegenden des Tals aus. »Leute, ihr werdet noch euren Enkelkindern davon erzählen«, prophezeite der Radiosprecher.
    »Der Geruch von Rauch«, sagte meine Mutter, »erinnert mich an all die Lagerfeuer in den Bergen mit Gus. Ich dürfte eigentlich gar nichts Glückliches aus der Tragödie ziehen, oder?«
    »Was tust du eigentlich da?«
    »Sie haben keine Sachen für ihn mitgenommen, als sie seinen Leichnam abholten. Ich suche einen Anzug für ihn aus.«

    »Dad muss für die Einäscherung nicht festlich gekleidet sein.«
    »Ich will aber, dass er gut aussieht.«
    »Er hat nur selten Anzüge getragen.«
    »Das hier ist ein besonderer Anlass.«
    Ich zog einen kaffeefarbenen Wollanzug heraus, den mein Vater wohl in den frühen 1960ern getragen hatte.
    »Nicht der«, sagte meine Mutter. »Der ist grauenvoll.«
    »Der ist klasse.«
    »Das letzte Mal hat er ihn beim Gedenkgottesdienst deines Großvaters getragen. Für die Beerdigung meiner Mutter habe ich ihn einen neuen kaufen lassen.«
    »Meinst du, Dad hätte was dagegen, wenn Ezra ihn anprobieren würde?«
    Sie zögerte. »Ich denke nicht, dass es ihn stören würde.«
    Da erkannte ich, wie absurd meine Frage war. Mein Vater war gestorben, und ich suchte Kleidung für meinen Gatten aus, während ich gleichzeitig über die Liebe eines anderen Mannes nachgrübelte. Ezra hätte den Anzug sowieso nie getragen. Dieses Leben war vorbei. In dieser Sekunde traf es mich wie ein Faustschlag - mein Vater war tot. Die brennenden Tränen, der kalte Schauder, der mir die Arme hinauflief und dann hinab bis in meinen Magen wanderte und mich aufs Krankenhausbett zog. Ich beobachtete meine Mutter, wie sie den Anzug, den sie ausgewählt hatte, aufs Bett legte. Sie warf mir einen raschen Blick zu, drehte sich jedoch auf der Suche nach einem Hemd und der passenden Krawatte weg, damit ich mich wieder sammeln konnte. Da glitt der Anzug neben mir vom Bett und schlug dumpf auf dem Boden auf. In seiner Tasche steckte etwas. »Mom, da drin ist ein Portemonnaie.«
    »Einmal habe ich einen Fünfzigdollarschein in einem Wintermantel
deines Vaters gefunden. Als ich ihm davon erzählte, meinte

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