Im Tal der Sehnsucht
hob abwehrend beide Hände. „Tonya ist harmlos, und Jinty genießt ihre Gesellschaft.“ Das war eine verblüffend dreiste Lüge.
„Jinty leidet unter Tonya … wie wir alle“, entgegnete Boyd. „Wenn du zufällig Zeit hast, würden Leona und ich gern etwas mit dir besprechen.“
„Natürlich.“ Rupert war plötzlich die Liebenswürdigkeit selbst. „Kommt hinüber in mein Arbeitszimmer. Worum handelt es sich? Um Leonas Karriere? Sie ist doch gerade erst befördert worden. Nicht alles auf einmal, Mädchen.“ Er drohte ihr gutmütig mit dem Zeigefinger. „Du bist erst dreiundzwanzig, nicht wahr?“
„Vierundzwanzig.“ Leona wunderte sich, dass ihre Stimme so normal klang.
„Du willst mir doch nicht etwa deine Verlobung mitteilen?“ Rupert blieb stehen und drehte sich lächelnd zu ihr um. „Es ist der junge Peter, nicht wahr?“ Er nickte, als wäre er einer Verschwörung auf die Spur gekommen.
„Es ist der junge Boyd“, warf Boyd trocken ein. Damit war es heraus.
Rupert blieb wie angewurzelt stehen, direkt vor der offenen Tür zu seinem Arbeitszimmer. „Soll das ein Scherz sein?“ Die schwarzen Augenbrauen zuckten, die Stirn legte sich in finstere Falten. In Sekundenschnelle war aus dem leutseligen Hausherrn wieder der alte Tyrann geworden.
„Wollen wir nicht hineingehen?“ Boyd ließ sich von der Verwandlung seines Vaters nicht beeindrucken, aber Leona war empfindlicher. Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Rupert konnte Menschen vernichten. Er war skrupellos, wenn ihm jemand in die Quere kam. Jeder, der geschäftlich mit ihm zu tun hatte, wusste das.
Leona dachte an ihren Vater. Würde Rupert ihn jetzt unter einem Vorwand entlassen? Er hatte die unumschränkte Macht dazu.
Rupert nahm schweigend hinter seinem riesigen Schreibtisch Platz. Er hielt den Kopf gesenkt und schaute nicht auf. Sein Blutdruck musste gefährlich gestiegen sein, denn sein Gesicht war stark gerötet.
Boyd führte Leona zu einem Ledersessel und setzte sich in den Sessel daneben. „Ich wundere mich, dass du so schockiert bist, Dad“, sagte er. „Dir entgeht doch sonst nichts. Du hast dummerweise mit den Comptons ein Abkommen über eine gemeinsame Zukunft getroffen … in der Überzeugung, dass zwei Vermögen besser sind als eins. Das ist tiefstes Mittelalter. Ich mag Chloe. Sie ist ein nettes Mädchen und später bestimmt eine gute Ehefrau, aber nicht für mich.“
Diese nüchterne Weigerung Boyds, seinen Anordnungen zu folgen, erzürnte Rupert zutiefst. Er schob die Unterlippe kämpferisch vor und sah seinen Sohn feindselig an. „Was sagst du da?“
„Es wäre besser für uns alle, wenn du begreifen würdest, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe.“ Boyd blieb erstaunlich ruhig. „Leona ist die richtige Frau für mich.“
Ruperts Blick wurde noch drohender. „Sie ist keine Frau, sondern ein Kind. Außerdem ist sie deine Cousine und gehört zur Familie. Ich werde das nie und nimmer dulden.“
„Rupert, bitte!“, flehte Leona in der Hoffnung, ihn zu beruhigen.
„Du hältst dich da heraus!“, fuhr er sie an.
„Ich wollte dich nur bitten, nicht so zornig zu werden“, erklärte sie tapfer. „Du bist sehr rot im Gesicht.“
„Ein Wunder, dass ich nicht violett bin!“, polterte er weiter. „Ich dachte, du wärst anders, aber du bist wie alle gottverdammten Weiber!“
„Das reicht, Dad.“ Boyd erhob sich aus seinem Sessel. „Ich empfinde es als Ehre, dass Leona meinen Antrag angenommen hat. Und, um das gleich hinzuzufügen … ich habe sie überreden müssen.“
Rupert fluchte haltlos vor sich hin.
„Also gut, das war’s. Wir sind hier fertig.“ Boyd griff Leonas Hand. „Komm, Darling. Wir gehen.“
„Was hast du bloß gegen mich, Rupert?“, fragte Leona, während Boyd sie mit sich fortzog. „Gibt es vielleicht etwas, das ich nicht weiß? Dass Boyd nicht mit deinen Plänen einverstanden ist, mag eine Enttäuschung für dich sein, aber du bist mehr als enttäuscht, nicht wahr? Du findest den Gedanken unerträglich. Was ist der wahre Grund dafür? Es muss einen geben.“
„Tu es nicht!“, befahl Rupert mit grimmigem Blick. „Das ist mein letztes Wort.“ Seine Stimme klang kalt und anmaßend. „Wenn du weißt, was gut für euch ist – für dich, deinen Vater und diesen elenden Robbie –, dann tust du, was ich sage.“
Während er sprach, war alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Er sah plötzlich gefährlich blass aus – wie ein kranker Mann, der unter Schock
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