Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
ihren Gläsern mischte. Josefa hatte sich angewöhnt, viel zu trinken. Champagner am Vormittag, Absinth-Cocktails zu den grünen Stunden, zum Essen den schweren Wein, den Jaime aus Spanien kaufte, und hinterher zu Käse und Mandeln Amontillado. Wenn sie allein war, half Trinken, Dämonen zu vertreiben – so wie die Bauern in ihrer Heimat in den Wald hineinriefen, ehe sie ihn rodeten, um die Geister, die dort hausten, zu besänftigen. War sie mit Jaime zusammen, half ihr das Trinken, auf all die spritzigen, geistreichen Bemerkungen zu kommen, mit denen sie ihn unterhalten wollte, es half, Ängste zu zerstreuen und sich dem Strom ihrer Liebe hinzugeben. Über den Rand ihres Glases hinweg sah sie ihn an und war wie so oft von seinem Bild berauscht.
Dass er ein schöner Mann war, hätte selbst eine Blinde bemerkt. Ganz Mexiko-Stadt lag ihm zu Füßen und nannte ihn den schönen Andalusier. Josefa aber war sicher, dass das Schönste an ihm nur sie, die Liebende, bemerkte, weil es allen anderen verborgen blieb. Die schwere Ader, die an seiner Stirn heraustrat, wenn er sich wieder einmal übernahm oder etwas ihn wütend machte. Die Brauen über seinen Honigaugen, von denen er immer nur die rechte hob. Über dem linken Auge hing das Lid mit den langen Wimpern ein wenig tiefer, was die seltsame Wehmut noch verstärkte. Seine Lippen waren vollkommen geschwungen und hatten dennoch nichts mit der Fülle von Mädchenlippen gemein. Im linken Mundwinkel formte sich in den seltenen Augenblicken, in denen er ohne seine eiserne Beherrschung lächelte, eine Kerbe, und die, fand Josefa, war das Verborgenste, Schönste an ihm.
»Habe ich mich mit der Espagnole beschmiert, oder warum starrst du mich so an?«
Er beschmierte sich nie, weder mit der sämigen spanischen Sauce noch mit sonst etwas. Er hatte die geschliffensten Tischmanieren, die sie je erlebt hatte, und ihm gegenüber kamen ihre eigenen ihr plump und bäurisch vor. »Ich sehe dich an, weil du schön bist, Liebster. Du kannst unmöglich wissen, wie schön du bist.«
»Ich habe ja auch nicht den ganzen Tag Zeit, mich zu begaffen«, sagte er. »Aber wenn man dieses Gesäusel ohne Unterlass zu hören bekommt, kann man sich durchaus gelegentlich wünschen, hässlich wie ein indianischer Gnom zu sein.«
»Liebster, du könntest nie …«
Heftiges Klopfen schnitt ihr das Kompliment, das sie ihm machen wollte, ab. Jaime und Josefa erwarteten, dass der Diener einen Gast hereinführen würde, doch niemand erschien. Das Klopfen, das immer noch lautstark durch die Stille hallte, kam nicht von der Tür der Wohnung, sondern vom Portal des Hauses. »Darf ich den Vorhang aufziehen und nachsehen?«, fragte Josefa.
»Herrgott, sieh schon nach. Dieser Geistesgestörte gibt ohnehin keine Ruhe und du auch nicht.«
Josefa schob den Vorhang um ein winziges Stück beiseite und sah im Licht der Straßenlaterne Martina, die wie von Sinnen an die Haustür hämmerte. Gerade als Josefa das Gesicht an die Scheibe hielt, bückte sie sich, hob eine der nussgroßen Früchte des Kirschmyrtenbaums auf und schleuderte sie mit bemerkenswerter Wurfkraft nach oben ans Fenster. Die Scheibe zerbrach nicht, doch Josefa sprang erschrocken zurück.
»Jetzt reicht es.«
Auf seiner Seite des Tisches zog Jaime das Fenster auf und beugte sich hinaus. »Sie machen, dass Sie verschwinden, oder ich lasse Sie von meinem Diener entfernen.«
Martina gab ihm nicht einmal Antwort. Sie hatte inzwischen Josefa, die sich wieder zum Fenster vorgewagt hatte, entdeckt und winkte ihr wild mit beiden Armen zu. »Guten Abend, Josefa! Kommst du kurz herunter? Ich würde gern mit dir sprechen.«
Josefa hörte Jaimes unterdrückten Fluch und rief zurück: »Bitte geh, Martina. Lasst mir meinen Frieden. Ich mische mich nicht in das, was mein Vater tut, und er soll sich gefälligst nicht in das mischen, was ich tue.«
»Ich komme nicht von deinem Vater«, rief Martina zurück. »Glaub mir, ich könnte ihn in der Luft zerreißen und jeden Fetzen einzeln windelweich prügeln. In jedem Fall spreche ich kein Wort mehr mit ihm, dessen kannst du sicher sein. Ich bin auch nicht hier, um dich zu überreden, zur Hochzeit zu kommen, denn die Hochzeit ist sowieso abgesagt. Ich komme als Freundin, Josefa. Seine Freunde lässt man nicht vor der Tür stehen und sich die Lungen aus dem Leib brüllen.«
Jaime warf sein Fenster zu, dass es klirrte, und verließ das Zimmer.
»Ich habe dich nicht um deinen Besuch gebeten«, schrie Josefa zornig,
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