Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
weil Martina ihr den Abend mit Jaime und die zärtliche Stimmung zerstört hatte. Dann aber hielt sie inne. Neugier siegte. »Weshalb ist die Hochzeit abgesagt? Und weshalb sprichst du nicht mehr mit meinem Vater?«
»Anavera will kein Freudenfest feiern, wenn in ihrer Familie niemand Grund zur Freude hat«, rief Martina. »Und das andere kannst du dir denken, oder? Dein Vater war dreißig Jahre lang mein engster Freund, wir haben im Krieg einander das Leben gerettet, und ich bin kein Moralapostel, aber deine Mutter ist meine Freundin, und wer meiner Freundin so etwas antut, der soll sich hüten, mir unter die Finger zu kommen.«
Ein Gefühl des Triumphes erfüllte Josefa. Die Hochzeit des braven Töchterchens war geplatzt, und ihrem Vater schwammen die Felle samt seiner ewigen Bewunderer davon. Das Glück aber währte nicht lange, dann fiel ihr Blick auf Jaimes leeren Stuhl. »Geh, Martina!«, rief sie noch einmal in die Tiefe. »Ich weiß nicht, wie du mich gefunden hast, und ich will es auch nicht wissen. Alles, was ich will, ist, mein Leben zu leben, ohne dass einer von euch es mir verpfuscht.«
»Habe ich dir das verboten? Josefa, hör mir zu, ich bitte dich. Deine Mutter war einmal in einer ähnlichen Lage wie du. Ich war wütend auf sie, weil ich fand, sie habe ihre Freunde verraten. Tödlich beleidigt, wie ich mich fühlte, habe ich ihr nicht gesagt, dass wir, ihre Freunde, ihr trotzdem helfen würden, wenn sie in Not geriete. Sie ist in Not geraten, sie hatte niemanden, an den sie sich wenden konnte, und wenn der verdammte Benito, der Teufel soll ihn holen, nicht gekommen wäre, wärt ihr beide, du und deine Mutter, vielleicht nicht mehr am Leben. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das über die ganze verdammte Straße brüllen muss, aber wenn es anders nicht geht, soll es eben so sein: Wir sind deine Freunde, Josefa. Bitte scheu dich nicht, zu uns zu kommen, wann immer du uns brauchst.«
»Ich brauche euch nicht«, schrie Josefa. »Ich habe Jaime, und sonst brauche ich keinen Menschen auf der Welt.«
»Dein Benehmen ist peinlich.«
Josefa fuhr herum und sah Jaime in der Tür stehen. Hastig warf sie das Fenster zu und lief zu ihm. Martina warf noch ein paar Kirschmyrtenfrüchte an die Scheibe, doch Josefa kümmerte sich nicht mehr darum. »Bitte sei mir nicht böse, Liebster. Es tut mir so leid.«
Sie streckte die Arme nach ihm aus, aber er trat wie pikiert zur Seite. »Das ist auch eine deiner Betschwester-Litaneien. Hast du nie in Erwägung gezogen zu denken, ehe du handelst? Vielleicht müsste dir dann nicht so häufig alles und jedes leidtun.«
»Liebster …«
Er drehte sich brüsk um und ging in den Vorraum. Von der Garderobe nahm er seinen Hut und sein Cape. Als sein Diener ihm zu Hilfe eilen wollte, scheuchte er ihn mit einer Handbewegung zurück in seine Kammer.
Josefa rannte, umarmte ihn, hängte sich an seinen Hals. »Geh nicht weg, Liebster, tu mit mir, was du möchtest, aber geh nicht weg.«
Er wollte sie abstreifen, doch sie hielt ihn mit aller Kraft fest. »Was soll ich denn sonst tun?«
»Alles, was du willst.«
»Ich will gar nichts«, sagte er müde. »Nur in mein Haus fahren, mich in mein Bett legen und dieses ordinäre Getöse vergessen.«
Sie schmiegte die Wange an seine feste, gerade Schulter. »Lass mich mit dir kommen, Liebster. Schau, ich kann doch nichts dafür, dass Martina überall ihre Spitzel hat, die jede Adresse für sie aufstöbern. Ich habe dir geschworen, ich will mit diesen Leuten nichts mehr zu tun haben. Bitte bestraf doch nicht mich für das, was sie tun.«
»Ich bestrafe dich nicht«, sagte Jaime. »Ich bin nur müde und habe deinen ganzen Zirkus bis obenhin satt.«
»Dann denke ich mir eben etwas Neues für dich aus!«, rief sie, küsste ihn auf die Wange und in die Grube zwischen Kiefer und Ohr.
Kurz hatte es den Anschein, als müsste er lächeln, doch die Hoffnung erlosch gleich wieder. »Hast du mich nicht gehört? Deinen ganzen Zirkus, habe ich gesagt. Nicht nur ein einzelnes Kunststück.«
»Ich zeige dir eines, das du noch nie gesehen hast«, rief sie wirr vor Angst. »Eines, das dich nicht langweilt, das dich glücklich macht.«
»Und was sollte das sein?«
Sie versuchte ihm das Cape von den Schultern zu zerren und gab ihm noch mehr Küsse. »Komm ins Schlafzimmer, und ich zeige es dir.«
Er zerrte das Cape wieder an Ort und Stelle und sah sie an. »Nein, mein Herzchen«, sagte er. »Das Kunststück kenne ich in jeder erdenklichen
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