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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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über alles lieben würde, ohne Lüge, Heuchelei und Verrat, weil er ihr wirklicher Vater war. Dann stürzte sie auf den Boden zurück. »Er ist tot«, sagte sie. »Gefallen.«
    »Hat der indianische Barbar ihn getötet?«
    Kurz wusste sie nicht einmal, von wem er sprach. »Nein, natürlich nicht«, antwortete sie dann.
    »Und dessen bist du dir sicher?«
    Ihre Blicke trafen sich. Etwas Eisiges ballte sich in Josefas Brust. Jaime schloss auch den zweiten Arm noch um sie und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. »Quäl dich nicht. Wie solltest du denn davon wissen, der Barbar hat es dir gewiss nicht erzählt.«
    Sie lehnte sich an ihn und wollte nur, dass er sie festhielt, damit sie nicht fiel, weil der Schrecken so gewaltig war.
    Er wiegte sie und küsste ihr Haar. »Ist es nicht ein Jammer, dass nur du allein weißt, wer in Wahrheit dein Vater ist?«
    »Du weißt es jetzt auch.«
    »Ja, ich weiß es auch. Aber für die gute Gesellschaft dieses Landes giltst du weiterhin als Mestizin. Als Tochter eines barbarischen Pferdeknechts, der eine Grafentochter entehrt hat.«
    Von neuem erschrocken, blickte sie auf. »Aber was soll ich denn tun?«
    Er küsste sie. »Sag es ihm.« Die nächsten Küsse trafen ihren Hals und den Ansatz ihrer Brust. »Morgen Abend muss ich auf den Empfang des amerikanischen Botschafters. Wer in dieser Stadt Rang und Namen hat, wird dort sein. Der Indio auch. Er liebt es, sich unter Menschen zu tummeln, denen er früher nicht einmal das Wasser hätte reichen dürfen. Komm mit mir und sag es ihm. Sag ihm vor allen Leuten, dass er nicht dein Vater ist.«
    Etwas in ihr sträubte sich, so widersinnig das war. »Genügt es nicht, dass ich ihm gesagt habe, ich schäme mich für ihn und will nie wieder mit ihm zu tun haben?«
    Jaime küsste ihr die Augen. »Er hat dir deinen Vater weggenommen, ob er ihn nun selbst getötet hat oder nicht. Er steht zwischen dir und mir. Er betrügt deine Mutter und macht sie zum Gespött der Stadt. Und du willst ihn trotzdem schonen?«
    Sie wollte ihn nicht schonen. Sie hatte ihm das Härteste ins Gesicht geschleudert, was sie je einem Menschen gesagt hatte, und ungerührt zugesehen, wie er vor Schmerz die Schultern nach vorn krümmte. Es hätte ihr Freude bereiten sollen, doch die Erinnerung genügte, um sie schaudern zu machen.
    »Ein Mann, dem die eigene Tochter davonläuft, ist ein Männchen«, raunte Jaime. »Aber ein Mann, der sich das Kind eines anderen unterschieben lässt, ist noch weniger. Ein Nichts ohne Schwanz. Eine Witzfigur.«
    Eine Weile schwiegen sie beide. Dann ließ er sie sachte, geradezu behutsam los. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen«, meinte er.
    Sie hob den Kopf. »Bleib bei mir«, sagte sie. »Ich komme morgen mit dir auf den Empfang.«

26
    N ie war es Anavera so schwergefallen, Tomás nach Santiago de Querétaro zu begleiten und ihn auf dem Bahnhof zu verabschieden. Dieses Mal verzichtete sie sogar auf den Ritt auf Aztatl und fuhr mit Tomás auf dem Karren, weil er sie darum bat. Sie mussten in aller Herrgottsfrühe aufbrechen, um den Zug nicht zu verpassen. Es war der Mittwoch der Karwoche, und dieser war der letzte Zug, der vor den Hohen Feiertagen fuhr.
    Es hatte gutgetan, Tomás bei sich zu haben. Mit jemandem reden zu können in diesen schweren Tagen. Coatls Beispiel hatte Schule gemacht. Auch Abelinda hatte in ihrem Leben keinen Sinn mehr gesehen und versucht, es sich mit einem der Tranchiermesser aus der Schlachterei zu nehmen. Durch einen Glücksfall war Ernesto zur Stelle gewesen und hatte sie gerettet. Sie habe es unbeholfen getan, hatte er gesagt, wohl eher, um voll Selbsthass auf sich einzuhacken, als um wirklich zu sterben. Aber für die arme Carmen, die sie in ihrem blutbespritzten Bett gefunden hatte, war das nicht der geringste Trost.
    Von Josefa kamen schlimme Nachrichten, der Vater schrieb nicht, und die Mutter hatte kaum noch Kraft. Felipe Sanchez Torrija hatte einen Pfahl errichten lassen, um seine Arbeiter daran auszupeitschen, so nah am Grenzzaun, dass der Wind die Schreie nach El Manzanal trug. In geballtem Zorn liefen sie immer wieder hinüber, um ihm Einhalt zu gebieten, doch sie rannten gegen Mauern. Es war jedes Mal derselbe gespenstische Ablauf: Sanchez Torrija band den Gepeinigten los, die Mutter bezahlte seine Schulden, und er konnte gehen, wohin er wollte. Nur hatte er nichts, wohin er gehen konnte, und im Strom der Vertriebenen fand Sanchez Torrija schnell Ersatz. Am nächsten Morgen begann er mit der

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