Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
Vom Netzwerk:
ihm gab, dann führte er über Josefa. Sie ließ sich von Martina die Adresse nennen, aber die verbot ihr, so spät noch aufzubrechen. »Josefa lässt dich nicht ein, Süße. Und mir genügt es, dass ich um das Leben eines Kindes fürchten muss – dass du mitten in der Nacht dort allein auf der Straße stehst, kommt nicht in Frage.«
    Also wartete Anavera eine furchtbare, ruhelose Nacht ab, ehe sie sich im Morgengrauen auf den Weg machte. Schon bald schalt sie sich eine dumme Gans, weil sie in der Riesenstadt losgezogen war wie daheim auf dem Lande. Der Weg zu der Wohnung, die Josefa mit Sanchez Torrijas Sohn teilte, war endlos, und Geld für einen Mietwagen hatte sie nicht eingesteckt. Als sie nach einem gehörigen Fußmarsch endlich das schmale Haus aus der Kolonialzeit erreichte, wurde ihr im Magen flau. Würde sie ihm dort begegnen – Sanchez Torrijas Sohn, ihrem Feind? Anavera hatte nie im Leben einen Feind gehabt.
    Er sollte ihr Tomás zurückgeben und die Beschuldigung widerrufen. Nach der Gesetzeslage würde Tomás wegen der Wandmalereien verurteilt werden, aber dieser Mann, der mit seinem Geld alles kaufen konnte, besaß die Macht, ihn aus der Grube zu retten, in die er ihn gestürzt hatte.
    Und er sollte ihr sagen, was es mit den ekelhaften Gerüchten auf sich hatte, die er über ihren Vater verbreitete.
    In der Eingangshalle des Hauses gab es eine Loge, in der eine Concierge vor sich hin döste. Als Anavera ihr Josefas Namen nannte, schüttelte sie lediglich den Kopf. Anavera überwand sich und nannte den Namen von Sanchez Torrijas Sohn. Wieder schüttelte die Concierge den Kopf, schien aber schließlich Mitleid zu haben und ließ sich zu einer Erklärung herab: »Señor Sanchez Torrija gehört das Haus, das ist richtig, aber er wohnt nicht hier. Das kleine Elfchen hat er bis zum letzten Ersten hier wohnen lassen, dann hat er die Wohnung einem seiner Verwalter überlassen, und die Kleine musste gehen.«
    »Ja, aber wo sind sie denn hin?«
    »Wo ist wer hin?«
    »Meine Schwester – Josefa Alvarez und Señor Sanchez Torrija.«
    Die Concierge zuckte mit den Schultern. Im selben Moment kam ein dunkel verbrannter Weißer mit einem Strohhut die Treppe hinunter.
    »Sie suchen Señor Sanchez Torrija?«, fragte er. »Mein Name ist Fernando Sentiera, ich arbeite für ihn. Seine Adresse darf ich Ihnen nicht nennen, denn das schätzt er überhaupt nicht, und ich habe mir bereits durch mein Versagen in Yucatán schlechte Karten bei ihm eingehandelt. Aber vielleicht kann ich ihm zumindest etwas ausrichten?«
    »Ich suche meine Schwester!«, rief Anavera. »Josefa Alvarez. Sie muss vor Ihnen in der Wohnung gewohnt haben.«
    Fernando Sentiera ließ die Mundwinkel hängen. »In der Tat, das hat sie«, sagte er. »Ihr Tafelklavier steht ja noch da, und vor ein paar Tagen war schon einmal ein Mädchen, eine gestrandete Ausländerin, hier und hat nach ihr gefragt. Aber in welches Nestchen die bedauernswerte grüne Baronin sich verkrochen hat, weiß ich so wenig wie Sie.«
    »Die grüne Baronin?«
    Damit begann der zweite Teil des Wirbelsturms aus Ereignissen, die Anavera schließlich in einen Nachtzug nach Veracruz katapultiert hatten, ohne dass sie begriff, wie ihr geschah. Fernando Sentiera, der offenbar ein gutherziger Mensch war, hatte erkannt, dass sie wenig mehr als nichts wusste, und war mit ihr in den Patio gegangen, um ihr ein paar Zusammenhänge zu erklären. Jedes Wort, das sie vernahm, bestärkte sie in ihrem Entschluss: Sie musste Josefa um jeden Preis finden. Wie es aussah, war ihre Schwester mutterseelenallein in der Stadt und brauchte dringend einen Menschen.
    Auf einem Botschaftsempfang hatte sie ihrem Vater ins Gesicht geworfen, er habe kein Recht mehr an ihr, denn sie sei nicht seine Tochter, sondern die eines Tiroler Barons. Seither galt sie der feinen Gesellschaft als die »grüne Baronin«, die sie mit Hohn und Spott überschüttete. »Ihr Vater hat auch sein Fett wegbekommen. In diesen Kreisen lässt man sich nicht ungestraft einen Bastard unterschieben, und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, erklärte Sentiera. »Aber eine Tochter, die ihren Vater öffentlich demütigt, löst weit größere Empörung aus – umso mehr, wenn der Vater ein Volksheld ist.«
    Sich einen Bastard unterschieben lassen – so also sprach man von der Freude, die ihr Vater an Josefa gehabt hatte, der Wärme und Zärtlichkeit, mit der er sie aufgezogen hatte. Anavera hätte wütend auf ihre

Weitere Kostenlose Bücher