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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Sie drückte das Stück Stoff in den Händen und begann wieder zu weinen.
    »Ich bin dir geblieben«, sagte Anavera. »Ich habe dir geschrieben, aber du hast es nicht für nötig gehalten, mir zu antworten.«
    Josefa stand auf, schleppte sich zu einem wackligen Tisch, auf dem ihr altes Tagebuch lag, und zog etwas heraus. Anaveras Brief. Ungeöffnet. Mit der anderen Hand hielt sie noch immer den Stoff umklammert, von dem Anavera jetzt sah, dass es der bunte Rebozo war, den sie als Kind besessen, aber nie gemocht hatte. Es war keine sehr gekonnte Arbeit. Ihre Mutter war als Weberin genauso unbegabt wie sie, Anavera. Sie lief zu Josefa und schloss sie in die Arme.
    »Ach, Jo, du darfst doch solchen Unsinn nicht denken. Wir alle vermissen dich furchtbar. Komm zurück zu uns. Lass das hier hinter dir.«
    Josefa weinte und schüttelte heftig den Kopf. »Jaime kann ich nicht hinter mir lassen. Ohne ihn will ich nicht mehr leben.«
    Anavera musste an Abelinda denken, die ohne Miguel nicht mehr leben wollte. Wenigstens sie würde ihren Liebsten bald zurückbekommen. Und wenn sie selbst Tomás nicht zurückbekäme? Wie konnte sie der Schwester sagen, sie solle den teuflischen Mann, der sie so tief verletzt hatte, vergessen? Würde sie selbst Tomás vergessen, wenn man ihn ihr nahm?
    Sie erhielt keine Gelegenheit, Josefa irgendetwas zu sagen, denn diese schluchzte auf, warf den Kopf in den Nacken und schrie: »Bitte hilf mir, Verita! Du musst ihn mir zurückholen – ich habe doch sein Kind in mir!«
    Der Schrecken traf tief, und er löste sich nicht. Martina hatte recht, die Welt war auf den Kopf gestellt. Auf der einen Seite standen Abelinda und Miguel, die sich sehnlichst ein Kind wünschten und keines bekommen würden. Und auf der anderen stand Josefa, die sich die Augen aus dem Kopf weinte, weil sie eines erwartete, dessen Vater sie im Stich ließ.
    Anavera hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so bitterlich um einen anderen weinte, nicht Elena um ihren Acalan und nicht einmal Abelinda um ihre Kinder und Miguel. Für Stunden saß sie mit der weinenden Josefa in den Armen auf dem zerschlissenen Sessel und wünschte, sie hätte etwas tun können, um diesen Taifun der Traurigkeit aufzuhalten. Josefa riss sich selbst in Fetzen, ließ kein gutes Haar an sich. Sie nannte sich hässlich, plump und töricht, langweilig und schlecht erzogen. Sie sei des wundervollen Mannes, den sie hatte lieben dürfen, nicht würdig, schrie sie, und zuletzt nannte sie sich einen Judas und eine Barbarin.
    Eine Unsinnschwätzerin bist du, dachte Anavera. Und es ist der Teufel, der dir das angetan hat, dieser verdammte andalusische Truthahn, der deiner nicht würdig ist. Der Schwester all das zu sagen nützte nichts. Josefa war taub vor Schmerz, und je länger Anavera ihr schreckliches Weinen mit anhörte, desto klarer wurde ihr, dass es nur einen Weg gab, um beiden – Josefa wie Tomás – zu helfen: Sie musste diesem Sohn von Sanchez Torrija gegenübertreten und ihn dazu bringen, sich seiner Verantwortung zu stellen. Vielleicht war sie einfältig, vielleicht hatte das Leben in einer Familie, in der Reden als Allheilmittel gehandelt wurde, sie blind für die Wirklichkeit gemacht. Da ihr aber keine Wahl blieb, konnte sie es zumindest versuchen.
    »Hör zu, Jo«, sagte sie, »wie lange weißt du schon, dass du ein Kind bekommst?«
    »Ich hätte es längst wissen müssen. Ich hatte schon ewig kein Blut mehr, aber darauf gekommen bin ich erst, als Jaime fort war und ich überhaupt kein Essen mehr bei mir behalten konnte.«
    »Also weiß er nichts davon.«
    Verzweifelt schüttelte Josefa den Kopf. »Ich wollte es ihm ja sagen, ich bin überall hingefahren und habe auf ihn gewartet, aber er lässt mich nicht an sich heran. Ich habe ihn zu sehr verärgert. Jetzt bin ich so schwach, dass ich die Treppe nicht mehr hinunterkomme, wie soll ich es ihm denn jetzt noch sagen? Wenn er es wüsste, er würde mir doch endlich verzeihen und wieder zu mir kommen. O Verita, ich halte das alles nicht aus. Bitte hol ihn mir zurück!«
    »Das werde ich«, sagte Anavera und streichelte Josefas verschwollenes Gesicht. »Jo, hast du noch irgendwelches Geld hier? Gib es mir. Ich muss Lebensmittel und frisches Wasser für dich kaufen, und dann brauche ich einen Wagen, um zurück in den Westen zu fahren. Dort weiß ich jemanden, der mir helfen kann. Und du tu mir bitte einen Gefallen. Sobald du die Kraft dazu findest, lass der Mutter eine Nachricht zukommen, nur ein

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