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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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spürst du, wenn du auf einmal für möglich hältst, er könnte schlecht zu dir sein.« Es war erstaunlich, dass sie das konnte – weinen und dabei ruhig weitersprechen. Anavera hätte sie gern umarmt, aber für den Moment schien ihre Mutter unantastbar. »Macht es dir etwas aus, ein paar Tage bei Onkel Stefan zu bleiben?«, fragte sie Anavera. »Ich glaube, ich kann im Augenblick nicht klar denken. Ich kümmere mich um dich und um Josefa, sobald ich wieder weiß, wo vorne und wo hinten ist.«
    »Um mich brauchst du dich nicht zu kümmern«, antwortete Anavera. »Und um Josefa auch nicht. Das erledige ich. Kümmere du dich um dich und um Vater. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.« Sie hatte die ganze Zeit über wie versteinert stillgestanden, während ihr zwei Gedankenfetzen immer wieder durch den Kopf rasten: Es ist nicht wahr, es kann ja nicht wahr sein. Und gleich darauf: Es muss der Sohn von Sanchez Torrija sein, der dahintersteckt.
    Die Mutter war gegangen, und Martina hatte in ihrer üblichen Art darauf beharrt, Anavera und Stefan zu sich zum Essen einzuladen. Von dieser Nacht an überschlugen sich jedoch die Ereignisse in so rasendem Tempo, dass Anavera sie kaum noch geordnet bekam. Sie hatte sich darauf gefreut, endlich Tomás zu sehen und ihn um die Aufklärung dieser hanebüchenen Geschichte zu bitten. »Warum ist er eigentlich nicht mitgekommen?«, hatte sie Martina gefragt, während sie zu dritt den Bahnhof verließen.
    »Ja, warum ist er eigentlich nicht mitgekommen?«, wiederholte Martina und blieb abrupt stehen. »Jetzt, da du es sagst, frage ich mich das auch. Er musste noch einmal in die Akademie, war aber wild entschlossen, dich abzuholen, und hatte am Zócalo noch einen verwelkten Riesenstrauß Lilien gekauft. So weit ist es also schon gekommen mit uns, dass wir in dieser auf den Kopf gestellten Welt die eigenen Kinder vergessen.«
    Vor dem Palais kam ihnen Felix entgegen, Felix, die Frohnatur, die nichts aus der Ruhe bringen konnte. Seine Lippen zitterten, und er stammelte nichts als den Namen seines Sohnes. »Tomás.« Immer wieder »Tomás«.
    Das Haus war voller Leute, die sich gegenseitig Mezcal einflößten und alle durcheinanderredeten. Es dauerte eine Weile, bis Anavera erfasste, was geschehen war. Die Polizei war in die Akademie eingedrungen, hatte Tomás von seiner Staffelei weggezerrt und verhaftet.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Im Belem-Gefängnis«, presste Felix heraus. »In dieser Folterkammer.«
    »Aber was wird ihm denn vorgeworfen? Er hat doch überhaupt nichts getan!«
    »Sie werfen ihm vor, der Geist des Pinsels zu sein«, erwiderte Felix tonlos.
    »Der Geist des Pinsels«, stotterte Anavera ungläubig. »Aber er hat mir doch gesagt …«
    »Mir hat er auch so einiges gesagt«, bekannte Felix. »Und ich Trottel habe alles geschluckt. Ich nenne mich Maler, ich unterrichte junge Künstler, aber die Linienführung meines eigenen Sohnes erkenne ich nicht.«
    Martina stand mitten im Raum und presste die Hände auf den Mund, aus dem dennoch erstickte Laute drangen. Felix ging zu ihr. »Wir brauchen Benito«, sagte er.
    Ohne die Hände vom Mund zu nehmen, schüttelte Martina den Kopf. »Benito hilft uns nicht.«
    »Himmel und Hölle, hör endlich auf, aus Benito ein Monster zu machen!«, brüllte Felix sie an. »Verdammt, Martina, ein Mann ist nun einmal nicht zum Heiligen geboren, und einer verführerischen jungen Nymphe widersteht so schnell keiner. Aber das macht aus uns doch keine Schweine, die die Kinder ihrer Freunde im Stich lassen! Benito ist mein Freund, er hat Miguel bisher vor dem Schlimmsten bewahrt, und ich hole ihn mir jetzt zu Hilfe, damit sie mir meinen Sohn nicht in die Hölle schicken!«
    Martina, sonst nie um eine scharfe Antwort verlegen, sagte nichts, sondern schluchzte auf. Felix umarmte sie, und eine kleine Weile weinten sie zusammen. Irgendwer zog los, um den Vater zu suchen, fand jedoch nur die Mutter, die ihn ebenfalls vergeblich gesucht hatte. Die ganze Zeit über jagten Anavera wie vorhin auf dem Bahnhof Gedankenfetzen durch den Kopf, derweil ihr Herz bis in die Kehle schlug: Warum hat mir Tomás nichts gesagt, warum hat sich Tomás mir nicht anvertraut? Und gleich darauf: Es muss der Sohn von Sanchez Torrija sein, der dahintersteckt – anders kann es nicht sein.
    Es wurde zur fixen Idee, die sich in ihr festbiss: Sie musste diesen teuflischen Sohn von Sanchez Torrija irgendwo auftreiben und ihn zwingen, Tomás wieder freizugeben.
    »Benito hat für

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