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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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uns keine Zeit, er ist bei seiner Geliebten«, rief die schluchzende Martina.
    »Nicht doch«, erwiderte der Freund, der auf Suche gegangen und mit der Mutter zurückgekommen war. »Er ist bei Don Perfidio. Den jetzt zu stören würde Tomás mehr schaden als nützen. Wir haben im Nationalpalast eine Nachricht hinterlassen. Im Moment bleibt uns nichts, als abzuwarten.«
    Das Warten war das Schlimmste. Schlafen konnte niemand. Sobald die Sonne aufging, fuhren Martina und Felix zum Belem-Gefängnis, um zu versuchen Tomás zu sehen. Am Boden zerstört kehrten sie zurück.
    »Tomás wird nicht nur beschuldigt, der Geist des Pinsels zu sein«, krächzte Felix ohne Stimme und Ausdruck. »Diese Schweine im Belem behaupten, er hat Felipe Sanchez Torrija ermordet, und wenn kein Wunder geschieht, wird er dafür gehängt.«
    »Das ist doch Unsinn!«, schrie Anavera in das Stimmengewirr, das sich erhob. Dann verstummte sie. War es wirklich Unsinn? Wie oft hatte Tomás gedroht, einen der beiden Sanchez Torrijas zu töten? Aber hatte er ihr nicht versprochen, vernünftig zu bleiben und ihr gemeinsames Leben nicht aufs Spiel zu setzen? Betroffen starrte sie in ihre leeren Hände. Er hatte es ihr versprochen, aber als Geist des Pinsels hatte er dieses Leben Nacht für Nacht aufs Spiel gesetzt. Das Vertrauen, ihr davon zu erzählen, hatte er nicht aufgebracht.
    In der Nacht, in der Sanchez Torrija ermordet worden war, hatte sie vor Übermüdung wie eine Tote geschlafen. Hätte Tomás ihr Zimmer verlassen, um sich hinüber ins Haus ihres Feindes zu schleichen, hätte sie nichts davon bemerkt. Sanchez Torrija hatte ihn mit der Peitsche geschlagen, und nicht jeder Mann besaß die Kraft, solche Verletzung seiner Würde auszuhalten. Sanchez Torrija hatte ihm seine Paradieswelt auf El Manzanal zerstört, und letzten Endes hatte er die Schuld daran getragen, dass Anavera ihre Hochzeit abgesagt hatte.
    Aber brachte man deswegen einen Menschen um?
    Es kam ihr vor, als hätte ihr jemand Gift geradewegs in die Seele geträufelt. Tomás war ihr Verlobter, ihr Liebster, ihr Freund seit Kindertagen. Wie konnte sie an ihm zweifeln? Das haben die Sanchez Torrijas uns getan, hämmerte es in ihrem Kopf, der Tote genauso wie sein lebender Sohn.
    Wieder zog eine Gruppe von Freunden los, um den Vater zu suchen, während die anderen wie Tiere im Haus herumstreiften. Die Sonne ging schon unter, als die Suchenden zurückkehrten. Der Vater war nicht bei ihnen. Doch zum ersten Mal zeichnete sich in Gesichtern und Stimmen so etwas wie Hoffnung ab. »Don Benito sendet seine Grüße«, rief der kleine Zeichner José Posada. »Er hat Tomás besuchen dürfen, und gemessen an den Umständen geht es ihm gut.«
    Das Raunen der Erleichterung war so nachhaltig, dass es eine Weile dauerte, bis Felix sich mit seinen Fragen Gehör verschaffen konnte. »Hat Benito etwas zur Verhandlung gesagt? Es wird doch eine Verhandlung geben, und Benito wird ihn doch vertreten? Sie können meinen Jungen nicht einfach so ohne Verhandlung aburteilen – nicht wahr, das können sie nicht?«
    »Benito lässt sagen, ihr sollt für den Augenblick versuchen euch zu beruhigen, so gut es eben geht«, antwortete ein anderer aus der Gruppe, ein hagerer, fast kahlköpfiger Mann mit runden Augen. »Vorerst geschieht nichts. Er hat versucht eine Freilassung auf Kaution zu erwirken, aber dagegen verwahrt sich natürlich der prächtige Truthahn der Nacht.«
    »Verdammt, was ist denn das für eine Rechtsprechung?«, fuhr Felix auf. »Unterliegen wir eigentlich noch der Justiz oder nur noch dem verdammten Truthahn der Nacht?«
    »Wir unterliegen mit Wohl und Wehe dem Willen des Präsidenten«, erwiderte der Hagere. »Und der allein entscheidet, wem er Zugeständnisse macht und wem nicht. Der schöne andalusische Truthahn ist immerhin der Sohn des Getöteten und als dessen Erbe nun einer von Don Porfirios wichtigsten Geldgebern. Aber in der ganzen Misere gibt es auch ein Gutes. Der Andalusier bricht in den nächsten Tagen auf, um seinen Besitz in Yucatán zu inspizieren. Er kann sich also um den Fall seines Vaters nicht kümmern. Das verschafft uns Zeit.«
    »Zeit, darauf pfeife ich!«, rief Felix. »Aus Yucatán kommt das Dreckschwein frühestens in sechs Wochen zurück. Woher weiß ich, ob mein Junge sechs Wochen in dieser Seuchenhölle von Gefängnis überlebt? Diese Maya, die da unten mit ihren sprechenden Kreuzen das noble Volk in Angst und Schrecken versetzen – können die ihm nicht die Kehle

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