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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Schwester sein sollen, aber sie fühlte sich von Mitleid übermannt. Sanchez Torrijas Sohn musste die scheußliche Tat von ihr verlangt haben. Und danach hatte er sie erbarmungslos verlassen, wie er es mit Scharen von Frauen vor ihr getan hatte.
    »Aber er liebt sie doch!«, rief Anavera.
    »Pah, lieben.« Fernando Sentiera lächelte bedauernd. »Ich verdiene mein Brot bei ihm und sollte so nicht sprechen, aber Don Jaime weiß überhaupt nicht, was das ist. Ich habe schon für seinen Vater gearbeitet, und der wusste es auch nicht. Weiber hatte er ständig im Haus, aber geliebt hat er von denen keine. Und die schöne, überzarte Adelstochter, die er gegen den Willen ihrer Familie geheiratet hatte, schon gar nicht. Dass sie an seinen Affären, an den ewigen Demütigungen zerbrach, hat ihm Vergnügen bereitet, und dass sein kleiner Sohn dabei zusah, vermutlich auch. Als sie sich schließlich das Leben nahm, wurde ihm der Junge lästig. Also hat er ihn gepackt und übers Meer verfrachtet, zu Verwandten, bei denen er wohl kaum willkommen war.«
    »Sein eigenes Kind?«, stammelte Anavera.
    Fernando Sentiera nickte. »Einen Sechsjährigen. Dass der Sohn in seinem Menschenhass noch verbitterter geworden ist als der Vater, kann im Grunde nicht verwundern. Von der Familie hält man besser Abstand, Señorita. Die Männer der Sanchez Torrijas haben dort, wo bei unsereinem ein lebendiges Herz klopft, einen Klumpen aus der Jade, die dem Jungen so sehr gefällt.«
    Anavera wollte nur eines, ihre Schwester finden. Zu Martina ging sie besser nicht zurück, denn dort wäre sie aufgehalten worden. Also waren die deutschen Verwandten in der Calle Caldena ihre einzige Hoffnung. Sie dankte Fernando Sentiera, der ihr noch einen sorgenvollen Blick sandte, und war schon unterwegs.
    Die Haushaltswarenhandlung, die die Familie Hartmann vornehmlich mit exportierten Waren aus Europa betrieb, war an diesem Morgen spärlich besucht. Hinter der Theke im Verkaufsraum stand ein übernächtigter Onkel Stefan, der nicht mehr wusste als Anavera. »Ich kann nicht fassen, dass wir Josefa einfach so verloren haben«, sagte er. »Sie wollte ja keinen von uns sehen, und dann ist so viel passiert, dass niemand mehr versucht hat einen Zugang zu ihr zu finden.«
    In ihrer Erregung hatten weder der Onkel noch Anavera bemerkt, dass jemand an den Ladentisch getreten war. Das junge Mädchen wirkte so dünn und durchscheinend, dass seine Füße vermutlich beim Auftreten kein Geräusch verursachten. Zerzaust und abgerissen, wie sie war, handelte es sich bei ihr wohl kaum um eine Kundin. »Sie wollen wissen, wo die Josefa ist?«, fragte sie in einem merkwürdig rollenden, schwer verständlichen Deutsch. »Wenn Sie es sich ein bisschen was kosten lassen, bringe ich Sie hin.«
    »Woher wissen denn Sie das?«, fuhr Onkel Stefan auf. Dann wandte er sich an Anavera: »Ich habe dir ja gesagt, es ist einfach zu viel passiert. Darüber wollte ich übrigens mit deiner Mutter sprechen, aber ich fürchte, ihr wächst derzeit alles über den Kopf.«
    »Wo die Josefa ist, weiß ich, weil mich die Gruberin dafür bezahlt hat, sie zu finden«, platzte das zerzauste Mädchen frech dazwischen. »Das heißt, sie bezahlt mich nicht einmal, sie wirft mir ein paar Bröcklein hin, damit ich nicht verhungere.«
    Onkel Stefan stöhnte. »Wir haben Ihnen doch Geld dafür gegeben, dass Sie sich von Josefa fernhalten, bis wir mit der Mutter des jungen Mädchens gesprochen haben.«
    »Aber Sie sprechen ja nie mit ihr«, trumpfte das Mädchen auf. »Die Gruberin kann nicht mehr warten, die ist besessen, das begreifen Sie nicht. Sie hat bald ein Jahr lang nichts anderes im Kopf gehabt als ihren Neffen, und als sie gehört hat, dass der Neffe eine Nichte ist, wollte sie in einen der versumpften Kanäle springen. Aber seit sie das Mädchen gesehen hat, ist alles anders. Das Mädchen hat ihr Herz gewonnen, sagt sie, weil sie aussieht wie ihr kreuzvermaledeiter Valentin. Und ihren Namen mag sie auch. Josefa Valentina Gruber, hat sie gesagt, das ist ein feiner Tiroler Name. Sie will nur noch das Mädchen. Weil sie von Ihnen Geld genommen hat, fühlt sie sich verpflichtet, ihr Versprechen zu halten. Sie ist ja eine von den Vornehmen und legt Wert auf solche Sachen. Deshalb begafft sie bisher ihre Josefa nur von weitem, aber lange hält sie das nicht mehr aus. Dem Mädchen geht’s nicht gut, sagt sie, es muss hier weg. Nach Tirol, wo die Straßen sauber sind und ihre wahre Heimat liegt, sagt

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