Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
durchschneiden und sein giftiges Blut den alten Göttern zu saufen geben?«
»Die Idee hat ihren Reiz«, gestand der Hagere zu. »Die Mägen der alten Götter dürften Kummer gewohnt sein, wobei ich die Einwohner von Chan Santa Cruz eigentlich für Christen hielt. Aber wie auch immer – für die Zwischenzeit hat der Präsident Benito ein Zugeständnis gewährt. Tomás ist in eine Einzelzelle verlegt worden, ihr dürft ihm zu essen bringen, wenn es auch an der Pforte abgegeben werden muss, und er wird nicht misshandelt.«
Noch einmal erfolgte das erleichterte Raunen, in das Anavera einstimmte. Dabei hämmerten die Gedanken in ihrem Kopf weiter. Ich muss diesen Andalusier oder Truthahn oder wie immer sie ihn nennen aufhalten, bevor er nach Yucatán fährt. Er muss Tomás freigeben. Er ist an allem schuld.
Martina rieb sich die Augen und schniefte. »Nicht zu fassen, dass Don Perfidio sich von Benito noch etwas sagen lässt«, murmelte sie, zumindest ein wenig erlöst.
»Don Perfidio ist ein größenwahnsinniger Tyrann«, beschied sie Felix. »Aber ein Idiot ist er nicht, weshalb er kaum seinen fähigsten Kopf für ein Kavaliersdelikt in die Wüste schicken wird. Außerdem ist er ein Mann und weiß somit, dass es einen Mann nicht zum Schwein macht, wenn er gelegentlich einer süßen Versuchung erliegt. Schweine sind die, die unsere Zeitungen verbieten und unsere Kinder in Gefängnisse werfen. Benito ist unser Freund. Das hat er gerade bewiesen, und alles andere ist mir egal.«
»Felix!«, schrie Martina. »Hast du vergessen, dass das Opfer dieses Kavaliersdelikts deine Base Kathi ist und dass sie mitten im Raum steht?«
»Felix hat recht«, mischte sich jäh Katharina ein und trat vor. »Wenn mein Mann mich betrügt, ist es eine Sache zwischen ihm und mir. Euch geht es nichts an. Es mag einen üblen Ehemann aus ihm machen, aber es macht aus ihm keinen üblen Freund. Und wenn ich ihn verlasse, geht es auch allein ihn und mich und unsere Kinder an, nicht euch. Ich werde von keinem von euch verlangen, dass er Benito die Freundschaft aufkündigt, um zu mir zu halten. Wenn ihr mich im Augenblick nicht braucht, dann gehe ich jetzt zu ihm, um das, was uns betrifft, zu regeln. Irgendwann wird er ja in seine Wohnung zurückkommen. Anavera, du kümmerst dich um Josefa, ja?«
»Bleib doch hier«, rief Martina. »Benito wird ja wohl herkommen, sobald er kann.«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Katharina. »Du hast eine sehr deutliche Art, jemandem klarzumachen, dass er in deinem Haus nicht erwünscht ist. Damals, als ich bei dir in Ungnade gefallen war, hätte ich gewiss alles lieber getan, als mich hierherzuwagen.«
Damit ging sie und hörte nicht mehr, was der Hagere zu der völlig verstörten Martina sagte. »Natürlich kommt Benito her, um euch von Tomás zu berichten«, versicherte er und legte den Arm um sie. »Nicht einmal von dir ließe er sich das verbieten. Aber heute Abend kann er nicht kommen, Martina. Es ist nämlich etwas geschehen, das uns allen Hoffnung machen sollte – Miguel ist frei.«
In dem Jubel, der ausbrach, löste sich ein Teil der Anspannung.
»Das ist die beste Nachricht des Tages«, bekundete Felix tapfer, obwohl ihm Tränen in den Augen standen. »Wenn Miguel es schließlich überstanden hat, bekomme ich meinen Jungen auch zurück.«
Dass Tomás’ Lage ungleich heikler war, weil es um viel mehr als ein paar aufrührerische Artikel ging, mochte ihm in diesem Augenblick niemand sagen. Stattdessen berichtete der Hagere, dass der Vater Miguel ins Hospital Nuestra Señora de la Luz gebracht hatte. »Er ist sehr schwach, aber so, wie es aussieht, weder schwer verletzt noch an einer Seuche erkrankt. Benito will lediglich sichergehen.«
»Er hätte ihn herbringen sollen«, sagte Martina mit der Spur eines Lächelns. »Schließlich bin ich Ärztin und habe ihn auch schon einmal zusammengeflickt.«
Der Hagere streichelte ihr den Arm. »Du brauchst deine Kraft jetzt für dich. Wie wäre es, wenn du versuchst ein bisschen zu schlafen? Und du auch, Felix.«
Schlafen wollte niemand, aber nach und nach erklärten sich alle bereit, sich zumindest ein wenig auszuruhen. Alle bis auf Anavera. So müde sie war, drängte es sie, sich endlich auf den Weg zu Josefa zu machen. Nicht nur, weil sie es der Mutter versprochen hatte und weil sie selbst ihre Schwester sehen wollte, sondern auch, weil Josefa und Sanchez Torrijas Sohn einander liebten, so irrwitzig diese Vorstellung auch war. Wenn es einen Weg zu
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