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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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sich nachlässig die Kleider glatt. Dann gab er Katharina die Hand und zog sie voll Sehnsucht zu sich. »Danke, Dolores«, sagte er, fischte aus der Innenseite seines Rocks eine Schachtel und hielt sie dem Mädchen hin. »Könntest du das Josefa geben, auch wenn sie es in den Kanal wirft? Ich habe es ihr versprochen.«
    »Natürlich.« Dolores steckte die Schachtel ein. »Und zu danken habe nur ich. Ich wünsche Ihnen beiden eine gute Nacht.«
    »Wir Ihnen auch«, sagte Katharina. »Alles Gute für Sie und Vidal.«
    An der Tür drehte Benito sich noch einmal um und sandte Dolores einen seiner undurchschaubaren Blicke. »Josefa war übrigens eine glänzende Schülerin«, bemerkte er scheinbar beiläufig. »Sag ihr, sie soll dir eins ihrer naturwissenschaftlichen Bücher borgen und eine Heilige Schrift dazu. Menschen sind keine Bestien, Dolores, sondern die Krone der Schöpfung. Und Schweine sind hitzig, nicht eiskalt.«

31
    G ebrüll riss Jaime aus dem Schlaf. Nacken und Schultern schmerzten, und er fühlte sich nicht im mindesten erholt. Gleißendes Sonnenlicht stach ihm in die nur halb geöffneten Augen. Im Nu sprang er auf, ging zum Fenster und zog den verrutschten Vorhang wieder zu. Die Lichtmenge, die die Sonne verschüttete, war ungeheuerlich. Der Vorhang hielt ihr nicht stand. Sie mussten kurz vor der Stadt sein, die in seinen Augen die scheußlichste der Welt war – Veracruz.
    Hier war er als Sechsjähriger auf ein Schiff nach Spanien gezerrt worden, und hierher war er mehr als zwanzig Jahre später zurückgekehrt. Solange sein Großvater gelebt hatte, der Vater seiner Mutter, hatte die Familie ihn in ihrer Stadtresidenz wohl oder übel dulden müssen. Gewollt hatte ihn der Großvater so wenig wie die Übrigen, aber ein Marquesado de Canena y La Loma wies keinen Sohn seiner Tochter aus dem Haus, einerlei, wie missraten der Enkel war. Jahr um Jahr hatte Jaime sich vorgenommen, die demütigende Rolle des unerwünschten Verwandten nicht länger zu spielen, sondern zurück nach Mexiko zu reisen, in die Barbarei, in der er zumindest eines besaß – den Platz des Erben. Das Recht des einzigen Sohnes, dem alles zufallen würde, und wenn sein Vater sich hundertmal im Grab umdrehte und in das Holz seines Sarges biss.
    Vielleicht tat er das jetzt. Sich im Grab umdrehen und ins Holz des Sarges beißen. Jaime gönnte es ihm. Damals war er der Erniedrigung zum Trotz in Sevilla geblieben, bis sein Großvater gestorben war und sein Vetter Juan ihn mehr oder weniger vor die Tür gesetzt hatte. Dafür hasste er sich bis heute. Es war die Aussicht, in diese Stadt zurückzumüssen, die ihn gehindert hatte, beizeiten und aus eigenen Stücken zu gehen. Nach Veracruz. In die glühende, nach Verwesung stinkende Kloake, in der Seuchen und Verbrechen grassierten und sonst nichts gedieh. Jaime konnte förmlich spüren, wie die Nähe der Stadt ihm auf der Haut kribbelte. In Veracruz mochte man sich alle Stunde das Hemd vom Leib schälen und sich den Schweiß und den Dreck mit frischem Wasser hinunterspülen, man konnte trotzdem nicht sauber bleiben. Der Dreck griff um sich und klebte fest wie die verkommenen Sitten.
    Jäh schreckte Jaime aus den verhassten Gedanken, weil etwas anderes in sein Bewusstsein drang – der Zug fuhr nicht mehr. Er stand still. Das Gebrüll war verstummt und dem steten Gemurmel vieler Stimmen gewichen, aber die schwere Lokomotive gab nicht länger ihr bemühtes Keuchen dazu ab, und kein Rad pfiff und knirschte mehr auf den erhitzten Schienen. Mit einem Schlag war Jaime hellwach. Die Erinnerung traf ihn härter als das sengende Licht – er war nicht allein. Er hatte mit schmerzendem Nacken in seinem Sitz geschlafen, weil hinter der Polstertür, in seinem Schlafbereich, das Mädchen schlief. Die Kreatur. Die Tochter des Barbaren. Jaimes Schultern verkrampften sich.
    Wo immer sie waren und aus welchem Grund sie stillstanden, er würde diesen Kerlen Beine machen und sofortige Weiterfahrt verlangen. Von Veracruz würde er binnen einer Stunde in den nächsten Zug umsteigen und das Mädchen los sein. Die Kreatur, verbesserte er sich. Sie sah aus wie dem Barbaren aus dem Gesicht geschnitten, die gleichen hohen, scharfen Wangenknochen, die gleichen Züge wie aus Jade geschliffen, die Haut schimmernd und dunkel und die Augen unerträglich, als würde sich die Glut dieses Blicks durch die eigene Netzhaut bis ins Hirn bohren. Jaime trat vor den Spiegel, ordnete notdürftig sein Haar und streifte den abgelegten

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