Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Miguel.«
»Und für die Entwässerung der Slums«, mischte das Mädchen Dolores sich ein. »Für die Freiheit von Presse und Rede, für die Restaurierung von Wohnhäusern und die Festlegung bezahlbarer Lebensmittelpreise …«
»Hör auf«, fiel Benito ihr ins Wort.
»Sag du es mir«, forderte Katharina ihn auf, aber sie schrie ihn nicht mehr an. »Warum hast du mir nichts davon erzählt? Du hast nicht uns allein gelassen, sondern vor allem dich. Weißt du, wie weh das tut – zu sehen, wie du dich geschunden und innerlich zerrissen hast, und ausgeschlossen zu bleiben? Dir nicht helfen zu dürfen?«
Über seinen starken Rücken lief das Zittern, mit dem er sich selbst überwand. »Bitte hilf mir, Ichtaca«, sagte er leise. »Ich kann nicht mehr.«
»Komm her zu mir.«
Er nahm den Abstand mit drei Schritten, ging vor ihr in die Knie und begrub seinen Kopf in ihrem Schoß. Einen Augenblick zögerte sie, dann schob sie die Hände unter den Stoff des Rocks und schloss sie um seine Schultern, die vor Anspannung noch immer zitterten. Das Mädchen Dolores verließ auf leisen Sohlen den Raum. »Als du ihn im Gefängnis besucht hast, hat Miguel dir das alles anvertraut, nicht wahr? Und dann hat er dich gebeten, dich um Dolores zu kümmern, so wie damals dein Bruder dich bat, dich um seine Liebste Inez zu kümmern. Was noch, Benito? Hat er dir das Versprechen abgenommen, keinem Menschen etwas von seinem Verhältnis zu Dolores zu sagen?« Sein Schweigen war ihr Antwort genug. »Er hätte das nicht von dir verlangen dürfen«, sagte sie hart. »Und du hättest dich nicht daran halten dürfen. Abelinda hat uns auch gebeten, über den Tod ihrer Kinder zu schweigen, aber ich habe es dir trotzdem erzählt, weil ich fand, du habest ein Recht darauf. Hatte ich nicht dasselbe Recht, Benito?«
»Ich wollte nicht, dass du Miguel verachtest«, erwiderte er gepresst.
»Und stattdessen durfte alle Welt dich verachten, ja? Ist das deine Auffassung von Gerechtigkeit? Um einem Schuldigen die verdiente Strafe zu ersparen, verurteilst du einen unbescholtenen Mann dazu. Ich möchte nicht wissen, was Martina dir alles an den Kopf geworfen hat.«
»Ich auch nicht«, murmelte er kleinlaut in ihrem Schoß.
Wie von selbst lösten ihre Hände ihren harten Griff und begannen ihm über die Schultern zu streicheln. »Sieh mich an«, befahl sie ihm. »Verteidige dich.«
Benito hob den Kopf. »Das kann ich ja nicht.«
»Du musst«, sagte sie. »Erklär es mir.«
Sie sah, dass er sich die Lippe zerbissen hatte wie als Junge. Und wie als Junge fuhr er sich ins Haar und zerraufte es. »Miguel war so verzweifelt«, sagte er endlich. »Du kannst dir das Elend in diesem Gefängnis nicht vorstellen – und Miguel ist nicht dafür gemacht.«
»Ist irgendein Mensch dafür gemacht, Benito?«
»Nein«, gestand er ein. »Aber manche halten es besser aus als andere. Tomás ist ruhig, besonnen, man kann mit ihm reden, Strategien planen und darauf vertrauen, dass er sich daran hält. Miguel war kurz davor, den Verstand zu verlieren. Er hatte furchtbare Angst, dass, wenn der Conde von seinem Verhältnis mit Dolores erfahren würde, dies sein Todesurteil wäre. Und damit hatte er recht. Der Conde ist Porfirios wichtigster Geldgeber. Hätte Porfirio Wind davon bekommen, dass Miguel dessen Tochter entehrt hat, hätte er kurzen Prozess mit ihm gemacht.«
»Aha. Und was wäre, wenn er kurzen Prozess mit dir gemacht hätte?« Als er den Kopf senken wollte, schlug sie ihn hart unters Kinn und hinderte ihn. »Was wäre, wenn Porfirio dich zur Verantwortung gezogen hätte? Oder wenn der Conde dich gefordert hätte? Hast du darüber überhaupt nachgedacht?«
»Nein«, gab er zu. »Ich habe die Kontrolle über die Lage verloren. Es war, als säße ich in einem lecken Boot, und während ich auf der einen Seite versuchte ein Loch zu stopfen, riss auf der anderen ein neues auf.«
Katharina nickte. »Das ist kein Wunder, oder? Wenn ein Boot überladen ist, nützt kein Leckstopfen mehr, dann sinkt es. Und deines war schon voll bis zum Rand, ehe diese Flutwelle mit Miguel dich überrollte. Wer von euch hat sich diesen aberwitzigen Plan eigentlich ausgedacht – du, Dolores oder Miguel?«
»Was für einen aberwitzigen Plan?«, fragte er verstört.
»Den Wahnsinn, dich statt Miguel als Dolores’ Liebhaber auszugeben.«
»Na hör mal«, erwiderte er empört. »Natürlich hat sich überhaupt keiner von uns solchen Quatsch ausgedacht. Ich habe mich ein paarmal mit
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