Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
stützte den Kopf in eine Hand. »Ich bin nicht sicher«, sagte er. »Ja, es hat den Anschein, als würde Jaime Sanchez Torrija seinen Vater an Grausamkeit übertreffen, und ohne Zweifel ist er der Klügere von beiden, aber ich habe ihn einmal mit Josefa gesehen und gedacht: Bei all seinem Gehabe ist er im Grunde nicht viel älter als unsere Kinder – genauso unsicher und genauso bedürftig. Wir können doch einen so jungen Menschen noch nicht zum Teufel stempeln. Wenn jemand sich fände, dem er erlaubte, ihm diese fürchterlich verkrampften Schultern zu klopfen, würde er womöglich den Mut aufbringen, einen anderen Weg einzuschlagen.«
»Und derjenige soll ausgerechnet unsere Josefa sein?«, rief Katharina entsetzt.
Jäh schwiegen sie beide und starrten sich an. »Um Gottes willen, Josefa«, murmelte Benito. »Wir müssen uns um sie kümmern. Aber mich lässt sie keine halbe Meile weit an sich heran.«
Katharina nickte. »Anavera ist zu ihr gegangen, und ich frage mich die ganze Zeit, wie sie wohl zurechtgekommen ist.«
»Anavera wird ihr guttun«, sagte Benito mit einem unüberhörbaren Anflug von Stolz. »Anavera ist verlässlich und stark.«
»Ja, das ist sie, aber sie ist genau wie du. Sobald jemand an einer Last schleppt, hält sie die Schultern hin und lässt sich den ganzen Packen aufladen, auch wenn er ihr hundertmal zu schwer ist. Ich weiß nicht, ob ich aus diesem Sessel noch einmal aufstehen kann, aber ich muss unbedingt zu Josefa gehen und sehen, ob es ihnen beiden gutgeht …«
»Das mache ich«, ertönte die Stimme des Mädchens Dolores von der Seitentür her. Den kleinen Jungen hatte sie offenbar zum Schlafen in seinen Korb gelegt. Als Katharina und Benito protestieren wollten, schnitt sie ihnen das Wort ab. »Keine Widerrede. Es ist höchste Zeit, dass ich etwas von meiner Schuld abtrage, und ich bin in Josefas Alter. Vielleicht fällt es ihr leichter, mit mir zu sprechen. Mit Champagner begossen haben wir uns jedenfalls schon einmal.« Ermutigend lächelte sie. Dann wurde sie mit einem Schlag wieder ernst. »Außerdem sage ich ihr endlich die Wahrheit, damit sie begreift, was für ein immenses Unrecht sie ihrem Vater zufügt. Und meinem Vater und Martina von Schweinitz sage ich sie auch.«
»Aber Miguel«, fuhr Benito auf.
Dolores schüttelte den Kopf. »Dass du deine Ehre opferst, erlaube ich keinen Tag länger. Miguel ist jetzt frei, und er und ich müssen allein zurechtkommen. Keine Sorge, mein Vater wird ihn nicht erschießen. Auch wenn nichts so ist, wie er es sich für seine Tochter erträumt hat, hat er doch etwas, das viel überwältigender als alle Träume ist – Vidal, einen Enkel. Für uns wird das Leben weitergehen.«
»Und für Miguels Frau?«, warf Katharina ein.
»Ich schicke Miguel zu ihr zurück«, antwortete Dolores. »Mehr kann ich nicht tun.«
Katharina nickte. Mehr konnte sie nicht tun. Miguel würde für das, was er getan hatte, teuer bezahlen. Er würde die Laufbahn als Journalist, die er geliebt hatte, gegen das stille Leben in Querétaro tauschen und auf seine Geliebte wie auf sein Kind verzichten müssen. So wie Katharina ihn kannte, würde er es auf sich nehmen, und wenn sie sich Zeit ließen, gab es vielleicht für alle Beteiligten einen Weg, zurechtzukommen.
»Ich fahre zum Schweinitz-Palais und sage wegen Tomás Bescheid«, wandte sich Dolores noch einmal an sie. »Außerdem bitte ich meinen Vater, Ihren Mann bei Porfirio Diaz zu entschuldigen, und dann besuche ich Ihre Tochter. Und Sie nehmen bitte Ihren Mann und schleifen ihn in ein Hotel, in eines, wo Sie es schön haben und wo kein Mensch Sie findet. Und am besten bleiben Sie mindestens drei Nächte.«
»Das können wir nicht wirklich tun, oder?«, platzte Benito mit einer Spur seliger Hoffnung in der Stimme heraus. »Was ist mit Vidal?«
»Der kann ein paar Stunden bei seinem Großvater bleiben«, versetzte Dolores, ehe sie sich wieder Katharina zuwandte. »Darf ich Sie noch um einen Gefallen bitten, Señora? Bringen Sie bitte Ihrem Mann bei, dass Jaime Sanchez Torrija kein fehlgeleiteter kleiner Junge ist, den ein paar väterliche Klapse auf den rechten Teil schon zur Besinnung bringen werden, sondern die niederträchtigste, gefährlichste Bestie, die in diesem Land herumläuft. Machen Sie ihm irgendwie klar, dass dieses eiskalte Schwein vor nichts zurückschreckt. Ansonsten bricht Sanchez Torrija einem von Ihnen das Genick, und das möchte ich auf keinen Fall.«
Benito stand auf und strich
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