Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
unendlich glücklich macht«, rief die Mutter. War Anavera die Einzige, die bemerkte, dass ihre Stimme nicht ganz sicher klang? »In Vertretung für meinen Mann, euren Gouverneur, der heute nicht bei uns sein kann, gebe ich die Verlobung unserer Tochter Anavera mit Señor Tomás Hartmann bekannt.«
Dreimal hintereinander feuerte das römische Licht seinen Funkenregen in den Himmel. Applaus brandete auf. Glückwünsche hallten durch die Nacht, und dazwischen knallten Korken. Also gab es doch Champagner, bewahrt für den großen Auftritt des Geburtstagskindes und nun zweckentfremdet für dessen Schwester. In hohem Bogen, dem Feuerwerk ähnlich, schossen Fontänen des funkelnden Getränks aus den Flaschenhälsen. Die Mutter gestikulierte heftig, um Anavera und Tomás zu sich auf die Veranda zu winken, doch Anavera stand wie angewurzelt. Etwas hinderte sie, der Einladung Folge zu leisten, und erst auf Tomás’ sanften Druck setzte sie sich in Bewegung. »Das ist unser Moment«, flüsterte er, sein Gesicht so nah bei ihrem, dass ihre Wangen sich berührten. »Vergiss ihn nicht. Noch wenn wir krumm und grau wie Spinnenaffen sind, wollen wir manchmal daran denken.«
Während weitere Feuerwerkskörper abgefeuert wurden, strebten Anavera und Tomás langsam auf die Veranda zu. Vor ihnen bildeten die Gäste eine Gasse und beklatschten jeden ihrer Schritte.
»Ich wollte, wir beide hätten denselben Grund zum Feiern«, hörte sie im Vorbeigehen Acalan seiner Elena zuwispern.
»Warum fasst du dir dann nicht endlich ein Herz und sprichst mit meinem Vater?«, rief Elena so unwirsch, dass klar war: Es hatte wieder Streit zwischen ihnen gegeben. Acalan hielt sich für unwürdig, um die Hand seiner Liebsten anzuhalten, und glaubte, er müsse sich ihrer Familie erst durch eine Großtat beweisen. Elena hingegen verlor allmählich die Geduld. Sie war überzeugt, dass ihre Eltern, die selbst in Armut aufgewachsen waren, den jungen Mann als Schwiegersohn begrüßen würden, doch Anavera war sich dessen nicht sicher. Ihr Onkel Xavier war über die Maßen stolz auf das, was die Familie sich geschaffen hatte, und hatte seine ältere Tochter Donata einem wohlhabenden Arzt aus der Stadt gegeben. Gut möglich, dass er dem Habenichts Acalan die Tür wies, fürchtete Anavera.
Zwischen Köpfen und Schultern sah sie Martina, die sich ihren Weg bahnte und dann mit einem Satz auf die Veranda sprang. Während sie strahlend ihre Gratulation in die Menge rief, breitete sie einen Arm um die Mutter, als müsste sie sie stützen. War es Martina wie Anavera ergangen, hatte auch sie bemerkt, dass die Stimme der Mutter schwankte und dass sie nicht ganz fest auf ihren Beinen stand? Ihr Vater hatte die Mutter oft zärtlich seine tapfere Pulque-Bäuerin genannt und darüber gelacht, dass sie mehr vertrug als er. Was immer sie heute getrunken hatte, vertrug sie jedoch offenbar nicht. Im Licht der bengalischen Fackeln, die von sechs Jungen auf den Tanzplatz getragen wurden, wirkte sie bleich und erschöpft.
»Kommt an unsere Herzen!«, rief Martina mit komischem Pathos, das die Schwäche ihrer Freundin überspielen sollte. Sie streckte Tomás und Anavera den freien Arm entgegen, alle vier umarmten einander, und die Gäste applaudierten. Die Kapelle spielte einen weiteren Wirbel, und dann trugen Vicente und ihr Vetter Enrique einen Schemel auf die Veranda, auf dem sich eine riesige Torte türmte. Sie alle bekamen zu ihren Geburtstagen Torten, es war ein Brauch, der aus der deutschen Heimat ihrer Mutter stammte, doch diese war ohne Zweifel die größte, die Anavera je gesehen hatte. Sie bestand aus drei in Sahne gehüllten Stockwerken, auf denen rundherum Kerzen brannten. Bringt sie weg, wollte Anavera rufen, sie war nicht für mich gedacht, und ich will sie nicht haben. Ich habe Tomás, der mir gehört. Ich brauche mir nichts zu stehlen.
Tomás aber nahm das Messer, das die Mutter ihnen reichte, entgegen. »Ihr müsst die Kerzen zusammen ausblasen«, rief sie mit verwaschener Stimme. »Und wenn ihr die Torte anschneidet, müsst ihr euch etwas wünschen.«
Tomás hielt das Messer näher zu Anavera und nickte ihr zu. Ihr Inneres sträubte sich, doch sie wusste nicht, wie sie sich hätte weigern können, ohne die Mutter noch tiefer zu verletzen. Und all die Menschen, die es ihr Leben lang gut mit ihr meinten, blickten so erwartungsvoll zu ihr auf – selbst ihre Tante Carmen und deren Schwiegertochter, die schwangere Abelinda, waren gekommen, um ihr Glück zu
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