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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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und Seerosen, über Sumpfschildkröten und silbrigen Kärpflingen das sprechende Kreuz.«
    »Heidnischer Aberglaube«, zischte Sanchez Torrijas Sohn in seine Faust, aber der Münchner hörte ihn dennoch.
    »Ich meine nicht, mein zorniger Freund«, sagte er. »Denken Sie zum Beispiel an die heilige Johanna von Orleans – die göttliche Allmacht, die auf mystische Weise einem Volk in Bedrängnis neuen Mut schenkt, ist doch dem christlichen Glauben kein unbekannter Gedanke.«
    »Aber diese Propheten des sprechenden Kreuzes waren doch Betrüger«, fuhr Sanchez Torrijas Sohn auf. »Wie kann ein in einen Baum geritztes Kreuz zu sprechen beginnen, und weshalb sollte es einen Haufen geschlagener Krieger auffordern, gegen eine Übermacht noch einmal zu Felde zu ziehen? Nichts als Humbug und Menschenfang ist das. Einer der selbsternannten Propheten wurde sogar als Bauchredner entlarvt.«
    »Und erbarmungslos zu Tode gequält«, ergänzte Otto Bierbrauer. »Sie haben ja recht. Aber was ist mit den Reliquien und Prophezeiungen unserer eigenen römischen Kirche? Was sagen Sie beispielsweise zum Allerheiligsten Grabtuch von Turin? Nehmen wir einmal an, es handle sich tatsächlich um eine Fälschung – hätte es dann nicht immer noch Scharen von verzweifelten Menschen Mut zugesprochen? Und hätte es dann nicht seine Berechtigung?«
    »Doch!«, rief Anavera.
    Otto Bierbrauer lächelte. In den Augen von Sanchez Torrijas Sohn flackerte blanke Wut. »Und das würden Sie auch noch sagen, wenn eine der Rebellengruppen im Namen dieses verdammten Kreuzes uns überfallen und verschleppen würde?«, spuckte er aus. »Wenn diese Verbrecher sich im Rudel an der Dame, die Sie so bewundern, verlustieren würden?«
    Eine Zeitlang herrschte erschrockenes Schweigen. Otto Bierbrauer fasste sich als Erster. »Das war nicht galant, mein Freund«, tadelte er. »Wäre Ihre Schöne mit Ihnen so streng wie das Mädchen, dem ich in meiner Jugend zugetan war, dann müssten Sie jetzt auf Ihren Knien Abbitte leisten.«
    »Ich verzichte darauf«, schnaubte Anavera.
    »Oho«, bemerkte Otto Bierbrauer. »Oho.«
    Sanchez Torrijas Sohn hatte genug. Wortlos erhob er sich und verließ das Abteil. Der kleine Münchner sah ihm nachdenklich hinterher. »Wollen Sie ihm nicht nachgehen?«, fragte er Anavera nach einer Weile. »Der arme Kerl tut mir leid. Einen kleinen Dämpfer hatte er wohl verdient, aber wir beide haben es übertrieben.«
    »Er ist nicht mein Verlobter«, sagte Anavera statt einer Antwort.
    »Das dachte ich mir«, erwiderte Otto Bierbrauer. »Aber er wünscht es sich von ganzem Herzen.«
    »Eher wünscht er sich die Cholera!«
    Otto Bierbrauer lächelte. »Sie sind ja noch strenger als die Schöne meiner fernen Jugend. Bitte quälen Sie ihn nicht allzu lange. Er mag den stählernen Helden spielen, aber es war ja nicht mehr mit anzusehen, wie er versuchte bei Ihnen einen Punkt zu landen, und sich eine Abfuhr nach der anderen einfing. Zeigen Sie sich gnädig, schöne Prinzessin.«
    Seinen Irrtum zu korrigieren hätte zu viel Zeit erfordert, und Anavera ging zu viel anderes im Kopf herum. Deshalb zwang sie sich lediglich, sein Lächeln zu erwidern. »Ich bin übrigens mitnichten eine Prinzessin. Mein Vater ist Gouverneur von Querétaro und gegen jede Art von Königtum.«
    »Ich wette, er ist der Sohn einer langen Reihe von Aztekenfürsten«, erwiderte Otto Bierbrauer behaglich gähnend, und kurz darauf schlief er ein.
    Etwa eine halbe Stunde später hielt der Zug an. Anavera öffnete das Fenster und sah hinaus in die schwarzblaue, duftende, wispernde Nacht. Sie standen in einer engen, für die Schienen künstlich geschaffenen Senke, und gleich hinter dem Hang ragten steile, bewaldete Berge auf. In der Schwärze des nächtlichen Waldes blitzten silberne Streifen wie Glasfäden, die sich erst nach längerem Hinsehen als schmale Wasserfälle entpuppten. Von weit her erreichte sie das Echo ihres Plätscherns. So aufgewühlt Anaveras Inneres war, so lauernd und in Erwartung schien die Natur.
    Sanchez Torrijas Sohn klopfte wahrhaftig an, ehe er sein eigenes Abteil betrat. Er sah den schlafenden Münchner und dämpfte seine Stimme zum Flüstern. »Ich dachte, ich lasse Sie wissen, dass wir vor der Frühe nicht weiterfahren. Der Zugführer ist eingeschlafen.«
    Als Anavera keine Antwort gab, zog er den Kopf aus dem Spalt und schloss die Tür.

35
    D ie Wohnung war ein Stück vom Himmelreich. Sie war ihr Haus, das Zuhause, von dem Franzi ihr Leben lang

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