Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
geträumt hatte. Dabei hätte sie von den vier weiten, lichtdurchfluteten Zimmern nur ein einziges gebraucht, und auf die zierlichen Balkone mit ihren Säulen, Markisen und Blumenkästen hätte sie zur Not ganz verzichtet. Die Einrichtung war unbeschreiblich – die weichen Betten, die Sessel und die Chaiselongue, dazu die Küche voller blank polierter Gerätschaften! Und fast noch schöner war das Drumherum – die stille Straße, der Vorgarten voller zarter Blüten und das blitzsauber gewienerte Treppenhaus.
Dass sie selbst ein solches Heim nie besitzen würde, wusste Franzi. Sie hatte endgültig aufgehört zu träumen, als sie beim Versuch, ihre Schiffspassage an sich zu nehmen, hatte feststellen müssen, dass die Gruberin gar keine Passage für sie gebucht hatte. Auf Therese und Valentin Gruber waren die beiden einzigen Passagen ausgestellt. Die lästige Franzi hatte die Frau wie einen nicht mehr benötigten Koffer zurücklassen wollen, um mit ihrem nicht existenten Neffen in die Heimat zu reisen. Für Menschen wie Franzi gab es keine Schleichwege ins Paradies, dafür sorgten die, die es besaßen. Sie würde nehmen, was sie bekommen konnte, und jeden Augenblick in der himmlischen Wohnung auskosten, das schwor sie sich.
Stehlen würde sie jedoch nichts, nicht einmal als Souvenir. Die Wohnung gehörte dem Mädchen Josefa, und lieber wäre Franzi verhungert, als Josefa etwas Böses anzutun. Stattdessen hätte sie alles getan, um Josefa vor jeglichem Unheil zu beschützen. Die Gruberin hatte verzweifelt nach einem Menschen gesucht, den sie lieben konnte. Und Franzi hatte einen gefunden.
Mitten auf der Straße und wie üblich vollkommen grundlos hatte die Gruberin sie geohrfeigt. Vielleicht wollte sie ihr nicht einmal Schmerz zufügen, sondern sah in Franzi eben ein Ding, das dabeistand, damit sie jedes Mal, wenn sie überreizt war, draufhauen konnte. Aber das Mädchen Josefa sah Franzi nicht so. Hatte sie eben noch geschwankt, als würde sie jeden Moment zu Boden stürzen, so schoss sie jetzt schwungvoll herum und riss Franzi vor der Gruberin zurück. »Sind Sie von Sinnen?«, brüllte sie die Gruberin an wie der wildeste Fasskutscher von Brixen. »Lassen Sie sofort die Kleine in Frieden. Was hat sie Ihnen denn getan, und überhaupt, was fällt Ihnen ein, einen Menschen zu schlagen, der so viel schwächer ist als Sie?«
In diesem Augenblick flog Franzis Herz dem Mädchen Josefa zu. Und sie, der so etwas nie zuvor geschehen war, hegte nicht den mindesten Zweifel daran, dass diese Übergabe ihres Herzens endgültig war.
Josefa zog sie zu sich und legte ihr ihre kühle Hand auf die Wange. Was sie mit der Gruberin stritt und was die spanische Dame, die Dolores hieß, dazu sagte, bekam Franzi kaum mit. In ihren Ohren hallte kein schrillender Ton mehr, sondern ein Singen.
Irgendwann entschied die Dame Dolores, dass sie alle in eine Cantina zum Essen gehen würden, wofür Franzi von Herzen dankbar war. Dolores war so, wie sie aussah – steinreich, doch im Gegensatz zu den übrigen Reichen kein bisschen geizig. Ohne langes Gefackel bestellte sie mehr oder weniger alles, was das kleine Lokal zu bieten hatte. Josefa aß fast gar nichts, Dolores wenig mehr, und die Gruberin pickte mit Misstrauen an den fremdländischen Speisen. Den Löwenanteil verspeiste Franzi, der alles köstlich schmeckte. Als nichts mehr übrig war, fragte Dolores, ob sie satt sei, und Franzi erwiderte: »Nein.« Da winkte sie dem Wirt und bestellte scharfen bröckligen Käse, gebrannte, zwischen Oblaten gefüllte Milch und eine dunkle köstliche Creme, die bitter und süß zugleich schmeckte. Dazu Kaffee, den Franzi zwar nicht mochte, den sie aber trotzdem aus dem winzigen Tässchen trank, wobei sie einen Finger vom Henkel wegspreizte.
Zum Abschluss gab es ein Glas voll sahnigem, klebrigem Likör. Die Gruberin rührte ihres nicht an, weil sie fürchtete, es könne Gift darin sein, und Josefa schob ihres hinüber zu Franzi. »Sie können meines haben, wenn Sie wollen. Mir wird schlecht davon. Ich bekomme ein Kind.«
Wie zuvor schon mehrmals, wenn das Kind Erwähnung fand, schlug die Gruberin die Hände vors Gesicht und brach in Wehklagen aus: »Das darf doch nicht sein, das darf einfach nicht sein. Jetzt habe ich meine Josefa endlich gefunden und bin zu spät gekommen. Meine Josefa ist geschändet, und ich habe sie nicht beschützen können.«
Josefa tat Franzi entsetzlich leid. Sie saß verloren auf ihrem Stuhl, als würde sie unter dem
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