Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Jaime Sanchez Torrija gefahren ist.« Zuerst ergab die Nachricht für Josefa überhaupt keinen Sinn. Dann aber fuhr Dolores fort: »Du musst es jetzt begreifen, Josefa. Es ist so, wie ich es vermutet habe. Jaime Sanchez Torrija hat dich nie geliebt, Kleines, keinen einzigen Augenblick lang. Er hat dich benutzt, um deinen Vater so tief zu verletzen, wie er nur konnte. Er hat gut gezielt, dein Vater hat dich verloren, aber wie er darunter leidet, sieht dieser Verbrecher nicht. Er sieht nur, dass Benito Alvarez noch immer nicht am Boden liegt, dass er das Entwässerungsprojekt nicht aufgegeben hat und als Gouverneur nicht zurückgetreten ist. Also muss er noch einmal zuschlagen. Mit deiner Schwester Anavera als Waffe.«
Josefa wollte sich vor den Worten verschließen, wollte schreien, nichts davon sei wahr, und dann nach Franziska rufen, damit sie Dolores wie die Übrigen von ihr fernhielt. Aber es hatte keinen Zweck. Die Illusion war zu Ende. All die Dinge fielen ihr ein, die Jaime von ihr verlangt hatte, der besessene Hass, mit dem er von ihrem Vater gesprochen hatte, und sie begriff, dass Dolores die Wahrheit sagte. Jaime hatte sie nie geliebt. Sie hatte den Mann ihres Lebens nicht nur verloren, sondern nie besessen. Und jetzt tat er dasselbe Anavera an, die schon den Schmerz um Tomás ertragen musste.
»Du bist ein nettes Mädchen, weißt du das?«, fragte Dolores. »Eins, das eingreift, wenn Stärkere Schwächere schlagen, und eins, das so schreiben kann, dass Menschen aufhorchen und Fragen stellen. Du bist viel zu schade für einen gefühllosen Widerling wie Sanchez Torrija, auch wenn du das jetzt nicht hören willst. Glaub mir, ich habe selbst einmal versucht mit ihm zu flirten, weil ich hoffte, dadurch etwas für Miguel zu erreichen, aber ich bin geflüchtet wie ein Weißflankenhase. Ich finde den Kerl nicht zum Aushalten. Menschen, die kein Herz haben, haben auch nie viel Verstand, und wenn sie sich noch so aufblasen. Seine Hülle mag verlockend anzusehen sein, doch sie ist gänzlich hohl.«
»Woher weißt du, wie ich schreibe?«, presste Josefa heraus.
»Von deinem Vater«, erwiderte Dolores. »Er reicht seit Jahren jede Zeile von dir in der gesamten liberalen Bewegung herum. Du wärst mit diesem Mann nie glücklich geworden. Er ist einer von denen, die ihre Frauen verprügeln, wenn die es wagen, eine eigene Meinung zu äußern, und er hätte dir ganz gewiss nie erlaubt, für eine Zeitung zu schreiben.«
Josefa hatte für keine Zeitung mehr schreiben wollen. Sie hatte Jaime gewollt. Sonst nichts. Unwillkürlich fuhren ihre Hände auf ihren Bauch. »Ich bekomme doch sein Kind«, murmelte sie schwach. Die Vorstellung, dass ihr Kind seinen Vater so wenig bei sich haben würde, wie sie den ihren gehabt hatte, dass er es nie mit seinen schönen Augen ansehen und beim Namen nennen würde, war schmerzhafter als alles andere.
»Ich habe auch eines bekommen«, sagte Dolores. »Und weißt du was? Ich bereue das Leid, das ich anderen Menschen zugefügt habe. Sonst nichts. Dass ich meinen kleinen Jungen bei mir habe und ihn in aller Liebe aufziehen darf, ist keine Tragödie, sondern ein Glück. Mein Vater hat heute Morgen, als ich ihm den Kleinen brachte, gesagt: ›Wenn die anderen zetern, es sei eine Schande, lass sie reden. Die kennen ja unseren Vidal nicht.‹«
Josefa bewunderte Dolores für ihre Tapferkeit. Dolores hatte Miguel verloren, wie sie Jaime verloren hatte, aber sie trug es, ohne zu verzweifeln. Dolores konnte Miguel unmöglich so sehr geliebt haben, wie Josefa Jaime liebte. Niemand konnte das. Viele Frauen verloren ihren Geliebten und heirateten einen anderen. Auch ihre Mutter hatte das getan. Sie aber würde niemals dazu fähig sein.
»Josefa …«
Sie riss sich zusammen und blickte auf. Dolores war so nett zu ihr, und das alles war schließlich nicht ihre Schuld.
»Deine Eltern sind in unglaublicher Sorge um deine Schwester. Dein Vater will nach Yucatán fahren und Sanchez Torrija stellen, und deine Mutter weiß nicht, wie lange sie ihn noch daran hindern kann. Deine Eltern sind auch in unglaublicher Sorge um dich. Es würde ihnen sehr helfen, wenn du ihnen erlauben würdest, dich zu sehen.«
Heftig schüttelte Josefa den Kopf. »Ich kann nicht, Dolores. Bitte versuch mich zu verstehen. Ich kann ihnen einfach nicht gegenübertreten.«
»Nicht einmal deiner Mutter?«
Diesmal reichte es nur noch zu einem leichten Kopfschütteln. Dabei aber entstand hinter ihrer Stirn ein Plan. Es war die
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