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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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ich die Franzi. Die Franziska kennt nur die Gruberin.« Damit hüpfte sie wie ein kleiner Kobold davon.
    Kurz darauf erschien die Tante. Sie hatte schon den Mund geöffnet, um sich in Entsetzen über Josefas Zustand zu ergehen, doch Josefa kam ihr zuvor. »Ich will mit Ihnen nach Tirol gehen«, sagte sie. »Ich habe noch ein wenig Geld auf meinem Konto, das alle Kosten decken müsste. Morgen früh gehe ich zur Bank und hebe es ab. Meinen Sie, wir könnten sehr schnell abreisen?«
    »Ja, Kind, ja, Kind«, stammelte die Gruberin, ehe sie sich halbwegs fasste und erklärte: »Ich muss die Passagen im Büro der Schifffahrtsgesellschaft bestätigen und den Namen Valentin in Josefa ändern lassen. Weil sie offen gebucht sind, hängt alles davon ab, wann man uns auf einem Schiff einen Platz geben kann. Obendrein müssen wir dann noch in dieses grauenhafte Veracruz. Wird das in deinem Zustand denn zu schaffen sein?«
    »Es geht mir viel besser«, log Josefa. »Ich will so schnell wie möglich von hier fort. Dass mein Kind Ihnen nicht willkommen ist, ist mir bewusst – darf ich dennoch mit ihm in Tirol bei Ihnen leben?«
    »Aber Josefa! Wie kannst du denn daran zweifeln?«, rief die Tante. »Dass es nicht deine Schuld ist, weiß ich doch. Lange genug war ich schließlich selbst in diesem sittenlosen Land und habe mit eigenen Augen gesehen, wie es hier zugeht. Das mit dem Bankert ist natürlich nicht einfach, aber wenn wir dich im Haus verbergen, bis es geboren ist, dann wird es schon gehen.«
    »Und hinterher?«, fragte Josefa beklommen.
    Die Tante winkte ab. »Hinterher sagen wir einfach, die Franziska hat sich in Mexiko schwängern lassen. Bei einer wie der erwartet doch kein Mensch etwas anderes, und alles, was sie dafür verlangt, ist eine Passage auf dem Zwischendeck.«

40
    A navera?«
    »Ja.«
    »Kannst du nicht schlafen?«
    »Nein.«
    »Ich wünschte, du könntest«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte etwas dafür tun.«
    Sie lagen beide auf dem Rücken und starrten im Licht des Feuers das Reetdach an. Er lag auf diese Weise, weil die Männer ihm über Nacht die Hand- und Fußgelenke an ein Gerüst auf dem Boden fesselten. Sie hingegen hätte sich bewegen können, aber sie blieb so liegen wie er. An der Tür der Hütte saß ein Mann auf Wache. Hätte Anavera an Jaimes Fesseln gerüttelt, weil sie zu eng saßen und ihm die Gelenke aufschürften, wäre der Mann aufgesprungen und hätte über ihnen seinen Stock geschwungen.
    Zweimal hatte sie es versucht, und beide Male hatte der Mann Jaime geschlagen, nicht sie. Erst auf die Schultern, dann wütend über die Brust, dass ein blau-rotes Mal blieb. »Fass den verdammten Dzul noch einmal an, und ich schlage ihn auf den Kopf«, hatte der Wachmann gesagt. Zu Anavera, nicht zu Jaime. »Und ich höre nicht mehr auf, bis ihm das Blut aus seinem Dzul-Schädel quillt.«
    Jaime konnte sie nicht berühren, weil er gefesselt war, und sie konnte ihn nicht berühren, weil ihm dafür Schläge drohten. Aber sprechen konnten sie. Die ganze Nacht. Niemand störte sich daran.
    »Anavera?«
    »Ja.«
    »Ich wünschte, ich könnte etwas tun, damit du schlafen kannst.«
    »Was würdest du denn tun?«, fragte sie. »Sag’s mir. Vielleicht hilft es.«
    Lange schwieg er. Dann sagte er leise: »Ich würde mich auf die Seite drehen und dich zu mir ziehen. Ich würde meinen Mund dort hinlegen, wo dein Hals aus deiner Schulter wächst. Wenn du mich lässt.«
    »Ich lass dich«, sagte Anavera und musste vor Verzweiflung lachen. »Aber davon kann ich nicht schlafen. Ich würde dich gern küssen, Jaime. Überallhin.«
    »Ich habe das nicht verdient, dass du mich küsst, nicht wahr?«
    »Nein. Nicht oft. Aber manchmal schon.«
    »Wofür?«
    »Für das, was du über die Kathedrale von Sevilla gesagt hast. Ich habe mir den Namen gemerkt. Santa María de la Sede.«
    »Quetzalcoatl«, sagte er.
    Sie wandten einander nicht die Köpfe zu, aber sandten sich ein Lächeln in Gedanken. Dann schwiegen sie wieder und hörten einer den anderen atmen.
    Es war ihre siebte Nacht in dem Dorf. Wenn eine vorbei war, zogen sie mit einem kleinen Ast eine Furche in den Hüttenboden. Um nicht zu vergessen, wie viele es waren. Um Menschen zu bleiben.
    Die Männer, die sie überfallen hatten, hatten sie zurück nach Chichén Itzá geschleppt. Dort hatten weitere Männer gewartet, die Otto Bierbrauer überwältigt und gefesselt hatten. Der kleine Mann zitterte am ganzen Leib, schnappte pfeifend nach Luft und brachte kein

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