Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Anavera schwang sich auf ihren ungesattelten Rappen und sprengte hinter ihnen her – im Herrensitz, wie sie von klein auf ritt. Ein paar Kaffeepflücker standen in der Sonne am Koppelzaun, brachen in Gelächter aus und applaudierten. Kurzerhand sprang Josefa auf und warf das Fenster zu. Schweiß troff ihr die Stirn hinunter, und ihre Kleider klebten ihr am Körper, doch die Hitze war leichter zu ertragen als die fröhlichen Stimmen, die sie auszuschließen schienen.
Wie lange war es ihr schon so ergangen? Bereits als Kind hatte sie hier oben am Fenster des Mädchenzimmers gesessen und gelauscht, wie die anderen draußen herumtollten, spielten, gelegentlich weinten, doch genauso schnell wieder lachten und weitertobten. Ab und zu war sie hinuntergelaufen, getrieben von Sehnsucht, sich dazuzugesellen, aber meistens war sie schnell wieder oben gewesen, im Schutz des Zimmers, wo niemand bemerken konnte, dass sie, Josefa, in Wahrheit nicht dazugehörte.
Was für ein Unsinn! Josefa schnaufte und beugte sich wieder über die Schreibmaschine. Es war eine Remington 2, das neueste Modell aus Nordamerika, das sein Farbband selbst transportierte und zwischen Groß- und Kleinschreibung unterscheiden konnte. Ihr Vater hatte ihr die Maschine aus der Hauptstadt geschickt, ein vorgezogenes Geschenk zu ihrem morgigen Geburtstag. Auf dem Kasten, neben dem Markenzeichen, waren ihre Initialen eingeprägt, J. M. A., Josefa Marta Alvarez, wie in dem schweren Goldreifen, den sie am Handgelenk trug. Ihr Vater hatte sie eigens für sie gravieren lassen, genau wie den Reifen, den er ihr zur Taufe geschenkt hatte. Sie war der Beweis dafür, dass er ihren Berufswunsch ernst nahm, und mehr noch: Die metallisch glänzende Schreibmaschine bewies, dass er sie liebte. Nicht weniger als seine anderen Kinder, denen er storchenbeinige Fohlen und Teleskope schenkte.
Sie hatte keinen Grund, sich ausgeschlossen zu fühlen. Solche Gedanken waren kindisch, und ab morgen war sie kein Kind mehr. Ihr Vater würde eigens aus der Hauptstadt kommen, um ihr ein Fest zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag zu geben. Die Einladungen waren lange verschickt, eine Firma aus der Stadt hatte Zelte, Tischschmuck und Girlanden geliefert, und eine Kapelle würde ihnen bis spät in die Nacht zum Tanz aufspielen. Es würde herrlich sein, einmal als Hauptperson im Mittelpunkt zu stehen – aber hundertmal wichtiger als all das war der Vater. Jeden Moment konnte er eintreffen, und dann würde er Josefa über der Schreibmaschine finden und mit funkelnden Augen lächeln, weil er stolz auf sie war.
Josefa beugte sich vor und las, was sie geschrieben hatte: »Schützt Mexikos Verfassung!«, stand als Schlagzeile über dem Artikel, und gleich darunter: »Warum ein gewählter Präsident halten muss, was er bei Amtsantritt versprochen hat«.
Sie hatte die Tasten mehrmals angeschlagen, um die Überschrift hervorzuheben, weshalb die Schrift nicht scharf, sondern leicht verwischt war. Aber umso besser gelungen war der Text. Klar und mit einer Spur Ironie hatte sie dargelegt, warum Präsident Porfirio Diaz nicht noch einmal zur Wiederwahl kandidieren durfte. Die Verfassung verbot es, und Diaz selbst hatte seinen Vorgänger, den großen Juárez, bekämpft, weil dieser das Verbot umgangen hatte. Er musste sich an seine Forderung halten, oder er verspielte das Vertrauen der Bevölkerung. Das Johlen von draußen wurde so laut, dass die Scheibe es kaum noch dämpfte, aber Josefa störte es nicht länger. Sie hatte gute Arbeit geleistet. Sie würde den Artikel Miguel schicken, und mit etwas Glück würde der ihn drucken. In El Siglo XIX, jubelte sie innerlich. Sie würde Journalistin sein, gedruckt in der größten liberalen Zeitung Mexikos.
Ihr Vater hatte für El Siglo geschrieben, schon vor Josefas Geburt und sogar als die Zeitung verboten war. Er hatte Miguel, seinen Patensohn, dort untergebracht. Sobald er Josefas Artikel las, würde er wissen, dass sie nicht weniger Talent besaß und seine Hilfe ebenso verdiente, auch wenn sie als Frau einen steinigen Weg vor sich hatte. Er würde bald hier sein. Das Leben war schön, und die trüben Gedanken verflogen wie Schmetterlingsschwärme.
Vorsichtig zog sie den Bogen aus der Maschine. Schon oft war ihr dabei das Papier zerrissen, und sie hatte alles noch einmal tippen müssen. Diesmal gelang es. Ein gutes Zeichen. Sie wollte eben ein neues Blatt einspannen, als die Tür aufflog. Ohne den Kopf zu drehen, erkannte sie ihre Schwester
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