Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
mit Josefa im Schlepptau vor dem Palais auftauchte, gerade als er selbst einmal mehr mit leeren Händen zurückkehrte, wollte Benito für den Rest seines Lebens nicht mehr denken.
Josefa sah mitgenommen aus, das Kleid zerrissen, die Frisur zerrauft und das Gesicht verweint, aber zugleich war er sicher, sie nie so schön gesehen zu haben. »Josefa ist wohlauf«, sagte Tomás. Benito stieß ihn beiseite, drückte sie an sich und grub sein Gesicht in ihr Haar. Als Kind hatte sie sich ein unerklärliches Fieber zugezogen und fünf Tage lang auf Leben und Tod gelegen. So wie er sich nach ihrer Genesung gefühlt hatte, so fühlte er sich jetzt – als wäre es unmöglich, sie je wieder loszulassen. Sie klammerte sich an ihm fest. Die Kinder sind uns zu schnell groß geworden, dachte er. Wir sind nicht mit ihnen gewachsen, und das, was sie jetzt von uns brauchen, überfordert uns.
Seit Monaten versuchte er sich Gedanken an Katharina zu verbieten, weil sein Gewissen ihn würgte. Jetzt aber wünschte er sich, sie wäre hier. Der eine Mensch, der die Liebe zu ihren drei Kindern in ihrer ganzen Wucht mit ihm teilte. Sie würde ihm die Hölle heißmachen, weil er nicht auf ihr Mädchen aufgepasst hatte, und nichts anderes hatte er verdient. Aber das andere würde sie ihm auch geben – ihre Wärme, ihr Verständnis, ihre Lebensklugheit. Auf einmal sehnte er sich danach, Katharina all das, was ihm seit Monaten die Luft abdrückte, zu erzählen. Es endlich nicht mehr allein zu tragen.
Er küsste Josefa auf den Scheitel und glättete ihr zerzaustes Haar mit den Lippen. Draußen begann der Tag, die Aguadores füllten singend ihre Zuber, um sie in Viertel ohne eigene Pumpen zu schleppen, und auf den Milchwagen schepperten die Kannen. Er würde zu spät zur Sitzung des Kongresses kommen und aussehen wie ein Bandido, aber es scherte ihn nicht. »Geht es dir wirklich gut, Huitzilli? Was ist dir denn zugestoßen, wo hast du gesteckt?«
»Das möchte Josefa jetzt nicht sagen.« Mit einem Ruck hatte Tomás ihm die Tochter aus den Armen gewunden. »Und ich sage auch nichts, solange sie sich an unsere Vereinbarung hält. Wir beide, Josefa und ich, haben noch etwas vor. Ihr solltet versuchen euch eine Stunde hinzulegen. Ich verspreche, ich bringe sie gesund zurück.«
»Josefa braucht ein Bad und ein Bett!«, protestierte Benito.
Tomás schüttelte den Kopf und ließ Josefas Arm nicht los. »Ich denke, Josefa braucht für ihr Betragen eine ziemlich saftige Ohrfeige, die sie von dir nicht bekommen wird.«
»Sie nicht, aber du, wenn du es wagst, sie anzurühren.« Ehe er sich’s versah, stand Benito vor dem jungen Mann und holte aus.
Tomás wich nicht zurück. Es war Josefa, die ihn am Arm berührte, so dass er ihn sinken ließ. »Ich will mit Tomás gehen, Tahtli«, sagte sie. »Kannst du … können wir heute Abend vielleicht zusammen essen?«
»Natürlich«, erwiderte er. »Jeden Abend. Josefa, es tut mir so leid, und ich hasse es, dass ich dir wieder nicht mehr zu sagen habe als diesen hohlen Satz. Du, Tomás, wirst dich hüten, sie für irgendetwas zu bestrafen, das beileibe nicht ihre Schuld ist.«
Ein wenig scheu hob Tomás die Hand und legte sie Benito auf den Arm. »Deine Schuld ist es noch weniger«, sagte er. »Ich verspreche, ich tue nichts, das Josefa schadet. Ich werde auf meine künftige Schwägerin achten, wie ich auf Anavera achten würde.«
Er ist ein feiner Kerl, dachte Benito, während Tomás mit Josefa, die ihm einen Kuss zuwarf, davonzog. Er besitzt Herz, Courage und Verstand, wie meine Anavera es verdient. Auf einmal ertappte er sich bei dem wahnwitzigen Wunsch, es möge umgekehrt sein, Tomás wäre Josefas, nicht Anaveras Bräutigam. Josefa war ihm immer als die zerbrechlichere seiner Töchter vorgekommen, und allzu gern hätte er sie bei einem Mann wie Tomás in Sicherheit gewusst. Obwohl er sich ungerecht schalt, erkannte er, dass er Anavera, die ihm innerlich stark und heil wie eine Priesterpalme vorkam, eine härtere Aufgabe zutraute – eine wie den jungen Rapphengst, den sie sich vertraut gemacht hatte, nachdem andere ihn für unreitbar erklärt hatten.
»Benito.« Martina klopfte ihm auf den Rücken. »Du solltest tun, was Tomás dir geraten hat. Leg dich oben eine Stunde hin. Du hast schon erheblich schöner ausgesehen.«
Er kämpfte sich ein Lächeln ab. »Das ist der Lauf der Welt, fürchte ich. Ich muss in den Kongress.«
»Unrasiert? Du?« Sie trat vor ihn und blickte ihm scharf in die
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