Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Augen. »Was ist es? Josefa, Miguel, José? Das Entwässerungsprojekt? Querétaro? Die beiden Sanchez Torrija?«
»Alles zusammen«, sagte er.
»Aha. Und was noch?«
»Nichts.«
Martina runzelte die Stirn. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein katastrophaler Lügner bist?«
»Ja«, gab er zu. »Du.«
»Na also. Und weil ich ein so kluges Köpfchen bin, sage ich dir gleich noch etwas: Erzähl deinem Don Perfidio, er soll sich gefälligst ein paar Tage lang einen anderen suchen, dem er seine feinen kleinen Hiebe verabreichen kann, und fahr nach Hause zu deiner Frau. Du siehst aus wie ein Mann, der dringend eine lange Umarmung braucht, und wenn ich mich nicht irre, braucht meine Freundin Kathi dasselbe.«
»Kann ich mich in deinem Bad rasieren?«, wandte Benito sich an Felix.
»Sei mein Gast«, erwiderte Felix. »Aber dass Martina davon, dass du sie ignorierst, nicht aufhört, solltest du eigentlich wissen.«
Er bedankte sich bei den beiden dafür, dass sie versprachen, auf Josefa zu achten, bis er am Abend zurückkam, und dafür, dass sie waren, wie sie waren. Wären die Zwillingsvulkane ausgebrochen, hätte die Erde gebebt – gewiss wäre Martinas Palais das einzige Gebäude gewesen, das auf seinem Stück Boden unverrückbar stillstand.
Die Kongresssitzung war eine Qual und eine Farce dazu. Jeder wusste, dass nicht die angeblich frei gewählten Gremien das Land regierten, sondern der enge Kreis um den Präsidenten, der auf Empfängen, Cocktailstunden und Bällen, im Kasino und im Jockey Club mit Mexikos Geschicken Patolli spielte. Im Kongress kam und ging ein jeder, wie er wollte, manche lasen Zeitung, und andere schliefen über ihren Unterlagen ein. Dennoch ließ der Präsident es sich nicht nehmen, Benito vor der Versammlung abzukanzeln, weil er eine Viertelstunde zu spät kam. Die Predigt glitt von seinem Rücken ab wie von einem Entengefieder. Wenn Porfirio ihn nach der Sitzung nur gehen ließ, sollte er seinetwegen sein Mütchen an ihm kühlen.
Er ließ ihn nicht gehen. Nach dem Kongress berief er umgehend eine Sondersitzung seiner Berater ein. Die Angehörigen dieses Kreises, die die Bevölkerung los científicos, die Wissenschaftler, nannte, wurden nach einem undurchsichtigen, womöglich völlig willkürlichen Verfahren ausgewählt und waren niemandem als dem Präsidenten Rechenschaft schuldig. Die Gruppe umfasste ein gutes Dutzend Männer, dessen Besetzung ständig wechselte. Vertraute Gesichter verschwanden, und neue tauchten auf. Teofilo de Vivero aber gehörte dem Kreis bereits seit Jahren an. Als Benito das Sitzungszimmer betrat, wandte der Conde sich ihm zu und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Benito hatte das Gefühl, in einem Haufen Ameisen zu sitzen, die ihm in Horden über Leib und Glieder krochen.
Wohl deshalb entging ihm zunächst, dass die Científicos wiederum ein neues Mitglied hatten. Er bemerkte es erst, als alle sich erhoben, weil der Präsident durch die Tür schritt. Die junge Aristokratin, die seine zweite Frau geworden war, hatte wahrhaftig einen Mann von Welt aus dem soldatischen Rauhbein gemacht. Sein Rock saß wie angegossen, das Gesicht war in einem sahnigen Beigeton gepudert, und er hatte offenbar geübt, mit gestrafften Schultern zu schreiten. Zoll für Zoll glich er jetzt dem würdevollen Landesvater, als den er sich so gern betrachtete. Benitos Blick stahl sich unter dem des Conde hinweg und glitt über die Reihen der Gesichter. Sie saßen zum Hufeisen geordnet. Auf dem Platz am Kopf, neben dem des Präsidenten, saß Jaime Sanchez Torrija.
Was der junge Mann tat, beobachtete Benito an ihm nicht zum ersten Mal: Er ließ den Leuten, die ihn arglos nickend begrüßten, mit seinem Blick das Lächeln auf dem Gesicht gefrieren. An was für einem Übel musste ein Mann leiden, der so viel Vergnügen daran fand, andere zu erschrecken, anderen Schmerz zuzufügen und ihnen das Leben zur Hölle zu machen? Was trieb einen Mann dazu, der auf der Sonnenseite des Lebens geboren worden war und den der Himmel überdies mit berührender Schönheit und bemerkenswerten Geistesgaben ausgestattet hatte? Jaime Sanchez Torrija glich einem Skorpion – einem wohlgestalteten, eleganten Tier, das in seiner Höhle darauf lauerte, sich auf sein ahnungsloses Opfer zu stürzen. Mit präziser Berechnung senkte er ihm seinen Stachel in den Leib und pumpte ihm Gift in die Venen, um es anschließend mit seinen Kieferklauen zu zermalmen. Männer, die sich Scharen von Feinden machten, gab es
Weitere Kostenlose Bücher