Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
ein Zwillingspaar, ein Junge und ein Mädchen. Sie sind beide gestorben, und Abelinda darf keine Kinder mehr bekommen. Sie ist am Ende, Tomás. Und sie wollte, dass wir es Miguel verschweigen, weil sie glaubt, er verlässt sie, wenn er es erfährt.«
»Was für dummes Zeug«, murmelte Tomás betroffen. »Miguel hat sie geheiratet, weil sie sein kleines Mädchen aus den tiefen Wäldern ist, das er über alles liebt.«
»Und weil er mit ihr Kinder haben wollte«, fügte Anavera hinzu. »Sie war sein gesundes, einfaches Mädchen aus den Wäldern, das ihm gesunde Kinder und ein einfaches Glück schenken würde. Jetzt aber ist nur noch das unbedeutende Mädchen übrig, die Köhlerstochter, die glaubt, sie habe dem Erstgeborenen von El Manzanal, dem hochbegabten, studierten Journalisten, nichts mehr zu bieten.«
»Aber das ist doch …«, begann Tomás noch einmal.
Doch Anavera schüttelte den Kopf. »So sehen die Dinge aus Abelindas Sicht nun einmal aus. Sie sagt, er kann in der Stadt an jeder Ecke eine andere Frau finden, die seiner würdig ist. Und Miguel ist nicht hier, um ihr zu versichern, dass er für keine Frau auf der Erde Augen hat, nur für sie – auch ohne Kinder.«
Weit vorn auf dem Weg hielt die Mutter den Karren an und drehte sich nach ihnen um. »Was ist? Kommt ihr nicht weiter?«
»Doch«, antworteten Anavera und Tomás wie aus einem Mund und trieben ihre Pferde in Schritt. Sie hatten den Hang, der in ihre Senke führte, schon fast erreicht, als ein Knall und gleich darauf ein Schrei durch die Stille hallten. Der Schrei ließ sich nicht missdeuten – es war der Laut eines Menschen, den Schmerz schier zerriss. Unwillkürlich schloss Anavera die Schenkel um den Leib ihres Pferdes, und Citlali fiel mit ihm in Trab. Im Nu schlossen sie zu dem Karren auf, der sein Tempo ebenfalls beschleunigt hatte. Woher die Geräusche kamen, wagte keiner von ihnen die anderen zu fragen.
Zur Linken, hinter den mannshohen Pfählen, lag das Land, auf dem Sanchez Torrija sein Haus bauen ließ. Da die vertriebenen Bauern in Scharen um Arbeit nachsuchten, brauchte er ihnen nicht mehr als ein Almosen zu bieten. Das Geld, das sie dringend benötigten, um zumindest Unterschlupf für ihre Familien zu finden, borgte er ihnen, wohl wissend, dass sie die Beträge von ihrem Lohn im Leben nicht zurückzahlen konnten. In Yucatán waren derlei Methoden gang und gäbe, so dass die Landarbeiter dort in regelrechter Sklaverei lebten, aber hier verfuhr allein Sanchez Torrija danach. Von Elena hatte Anavera gehört, dass auch Acalans Vettern sich auf solch demütigende Weise verdingten, um ihre Schwestern zu versorgen. »Acalan sagt, es ist besser, dass Coatl tot ist«, hatte Elena erzählt. »Zu erleben, wie sein ganzer Stolz, seine Söhne, sich als Sklaven verkaufen, hätte er nicht ertragen.«
Zahllose Männer und halbwüchsige Jungen arbeiteten den weißen Aufsehern zu, schleppten Ziegel, rührten Mörtel an, hackten Balken zurecht und hobelten sie glatt. Sie alle trugen nicht mehr als ihre weißen Baumwollhosen, und auf ihren Rücken glänzte der Schweiß.
Ein weiterer Junge stand mit entblößtem Oberkörper vor einem Süßhülsenbaum, aber auf seinem Rücken glänzte nicht nur Schweiß. Anavera sah, dass seine Hände zusammengebunden und über seinem Kopf an einen toten Ast des Baums geknotet worden waren. Von den Schultern bis hinunter in die Taille prangten blutige Striemen wie eine höhnische Verzierung. Sein Peiniger stand drei Schritte hinter ihm, ein Mann in der schneidigen Kluft der Rurales, in den Händen eine Bogenpeitsche wie die aus jener Alptraumnacht im Sommer. Sein Herr, Felipe Sanchez Torrija, stand mit vollendeter Grandezza ein Stück abseits und sah der Züchtigung zu.
Jetzt erkannte Anavera auch den Jungen, der kraftlos in den Stricken hing. Es war Teiuc, ihr Spielgefährte, Coatls stolzer Sohn, dem toten Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Rurale schüttelte die Schnur der Peitsche aus und schwang sie hinter seinen Kopf, wobei er sein Gewicht in den Rücken legte, um dem Schlag Wucht und Schärfe zu geben.
Anaveras Mutter schrie wie ein wildes Tier und sprang vom Bock. Während sie zwischen den Pfeilern der Absperrung hindurch auf den Baum zulief, tat Tomás etwas, das blankem Wahnsinn gleichkam. Er hieb Citlali die Hacken in die Flanken und ließ ihm die Zügel schießen, wie kein erfahrener Reiter es tat. Aus dem Stand schoss der Hengst in Galopp. Im selben Augenblick grub die Peitsche sich
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