Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
er werde ihrer bald überdrüssig werden, sondern von dem Mann, der sie brauchte, sosehr er darum kämpfte, es zu leugnen.
Sie war entschlossen, ihn nicht wiederzusehen, aber sie hatte nicht geahnt, dass es ihr so schwerfallen würde. Bei Tage hasste sie ihn, weil man einen Menschen wie ihn nur hassen konnte. Bei Nacht löschten die Träume den Hass aus, und nur die Sehnsucht blieb übrig. Es kostete sie Mühe, ihre Wohnung zu verlassen, weil sie vor jedem hochgewachsenen Weißen mit schwarzem Haar erschrak und floh. Wenn sie sich dann verstohlen umdrehte, musste sie vor Enttäuschung nach Luft schnappen, weil der Mann dem, den sie vergessen wollte, nicht einmal im Entferntesten ähnlich sah.
Niemand sah ihm ähnlich. Seine Schönheit war ohne Vergleich. Auch wenn sie sich hundertmal sagte, dass kein Wesen, das voller Bosheit und Zerstörung steckte, wirklich schön sein konnte, kam sie nicht daran vorbei, dass seine Schönheit sie berührt hatte. Die Heftigkeit, mit der sie sich nach ihm sehnte, machte sie krank. Sie konnte sich kaum zwingen zu essen und magerte zusehends ab. Wenn die anderen sie fragten, sagte sie, es gehe ihr gut, sie habe nur mit ihrer Arbeit zu kämpfen. Mit der Zeit würde es besser werden, versicherte sie sich. Jeden Tag ein Stück. Aber es wurde nicht besser.
Ein wenig Hoffnung setzte sie auf die Reise nach Querétaro. Vielleicht würde der Abstand, das weite Land zwischen ihr und dem Mann, den sie vergessen wollte, Abhilfe schaffen, und in einem Monat konnte viel geschehen. Dann aber musste Tomás ihr sagen, dass ihr Vater die Reise nicht antreten konnte. »Er kommt für die Weihnachtstage nach, aber jetzt kann er einfach nicht von Miguel und seiner Arbeit hier fort. Versteh das, Josefa.«
Versteh das, Josefa, versteh, versteh, versteh. Es war der Refrain eines Liedes, das ihr zu den Ohren herauskam. Sie hatte nie mehr wütend auf ihn sein wollen und war es doch. Hätte er ihr die Hiobsbotschaft nicht wenigstens selbst überbringen können? Aber nein, er hatte ja Miguel, um den er sich kümmern musste. Miguel, Miguel, Miguel. Versteh das, Josefa. Nur bewahrte Verständnis nicht vor Schmerz.
Sie sagte Tomás, sie müsse ihren Vater um jeden Preis sprechen, und er kam. Drei Tage später, auf eine halbe Stunde vor dem nächsten Termin. »Ich sage nicht wieder, es tut mir leid«, meinte er und zog sie schüchtern in die Arme. »Ich kann mich selbst und meine ewigen Floskeln nicht mehr hören.«
Er sah so erschöpft aus, so abgezehrt. Ihr Zorn schmolz. Sie wollte nicht, dass er sich Vorwürfe machte, wollte die Tochter sein, die mit ihm an einem Strang zog. Kämpften sie nicht gemeinsam um das Entwässerungsprojekt – er in den Sitzungssälen und sie hinter ihrem Schreibtisch? Der Gedanke, ohne ihn nach Querétaro zu fahren, sich unter all die Menschen zu mischen, die von der Hauptstadt keine Ahnung hatten, und zuzusehen, wie Tomás und Anavera turtelten, erschien ihr auf einmal unerträglich. »Ich bleibe auch hier«, sagte sie. »So lange, bis du fährst. Vielleicht können wir uns ja wenigstens ab und zu sehen, falls ich Fragen zu meiner Schrift habe. Ich denke, wenn ich hierbleibe, kann ich das Manuskript bis Weihnachten fertig haben.«
Er versuchte es ihr auszureden, aber sie stellte sich stur und glaubte zu bemerken, dass er sich insgeheim freute. Die Qual begann von neuem, aber ein wenig half es, wenn sie all die Qual in das Manuskript legte, ihren Schmerz und ihr Elend nutzte, um über den Schmerz und das Elend von Menschen zu schreiben. Es wurde mehr als eine Schrift. Es wurde ein kleines Buch. Zum ersten Mal gefiel ihr, was sie zustande brachte. Es wuchs über ihre kindischen Entwürfe und unbeholfenen Artikel hinaus und gewann Farbe und Kraft. Ich kann das wirklich, stellte sie verwundert fest. Ich kann schreiben. Sie konnte es nicht erwarten, dem Vater ihren Text zu zeigen.
Zweimal verabredete sie sich mit ihm zum Essen, und zweimal tauchte er kurz auf, um abzusagen. Es tat jedes Mal weh, doch zum Ausgleich vertraute er sich ihr an. Sie, Josefa, war die Gefährtin, mit der er seine Sorgen teilte. Das Projekt sei gefährdet, berichtete er. Seine Gegner blockierten immer wieder Anträge auf finanzielle Mittel. Jaime Sanchez Torrijas Name fiel nicht, doch Josefa wusste trotzdem, von wem die Rede war. Am meisten aber quälte den Vater das Schicksal Miguels. »Ich fühle mich schuldig, Huitzilli. Ich habe auf Miguel nicht aufgepasst, wie ich es Carmen versprochen hatte. Ich kann
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