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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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nicht lächerlich, Josefa …«
    »Doch, das ist er!« Sie schrie jetzt. »Er ist dir keinen einzigen Abend wert, und überhaupt, manchmal glaube ich, Miguel ist dein Kind, nicht ich.«
    Ehe er die Arme nach ihr streckte, sprang sie in die Wohnung zurück und schlug die Tür vor seinem Gesicht ins Schloss. Als könnte er sie von außen aufdrücken, lehnte sie sich dagegen, und als er ihren Namen zu rufen und mit den Fäusten ans Holz zu hämmern begann, presste sie sich die Hände auf die Ohren.
    Felice kam aus ihrem Zimmer gestürmt und rief: »Was ist denn los, Josefa? Was um Himmels willen ist denn los?«
    »Lass mir meine Ruhe!«, schrie Josefa. »Das hier ist meine Wohnung, und was ich hier tue, geht dich nichts an!«
    Sie schrie noch, als Felice sich längst wie eine Maus zurückgezogen hatte. Irgendwann ging ihr die Kraft aus, und zugleich hörte ihr Vater auf, mit den Fäusten an die Tür zu hämmern.
    »Ich gehe jetzt in den Nationalpalast«, sagte er. »Willst du, dass ich nachher noch einmal wiederkomme, auch wenn es spät wird?«
    »Nein, ich will nicht, dass du wiederkommst«, fauchte sie. »Geh, wohin es dir passt, mir ist es einerlei.«
    »Ich liebe dich«, sagte er.
    Sie entgegnete nichts darauf und hörte die leisen Schritte nicht, mit denen er sich entfernte. Hinter der Tür, auf dem blanken Marmor, blieb sie sitzen und weinte die grenzenlose Enttäuschung aus sich hinaus. Es dauerte lange. Als die Tränenflut endlich versiegte, fühlte ihre Kehle sich rauh an, ihre Augen waren wund, und sie kam zur Besinnung.
    Sie hatte sich wieder benommen, wie sie sich nie mehr hatte benehmen wollen. Wie das undankbare Trotzkind, das mit dem Fuß aufstampfte und sich vor Zorn auf den Boden warf, weil alle um sie sich liebten und perfekt zusammenpassten, während sie zu niemandem gehörte und zu niemandem passte. Sie hasste dieses Kind. Es war eine Plage, ein würdeloses Balg, das niemand lieben konnte. Jetzt war sie einundzwanzig und wollte als Journalistin ernst genommen werden, aber in ihr steckte noch immer die stampfende, plärrende Göre, für die ihre Eltern sich schämen mussten.
    Welche Wahl hätte der Vater gehabt? Hätte er Miguel deportieren lassen sollen, um mit seiner Tochter zu Abend zu essen? Sie sah an sich hinunter, sah die gebundene Schrift auf dem Marmor, und ihr wurde übel vor Scham.
    Er hatte angeboten, nachher zu ihr zu kommen, aber sie hatte ihn abgewiesen. Wie schwer würde ihm das Herz sein, jetzt, wo er beim Präsidenten saß und alle Kraft darauf konzentrieren musste, Miguel zu retten? Sie wollte ihn sprechen, ihm sagen, dass sie ihren Auftritt bereute und dass er an nichts denken sollte, nur an Miguel. Ein Gedanke durchfuhr sie. Sie würde hingehen, noch einmal zum Nationalpalast, aber diesmal würde sie nicht versuchen Einlass zu erhalten, sondern draußen bei den Wagen auf ihren Vater warten. Einerlei, wie lange es dauerte – wenn er erschöpft aus dem Palast kam, würde seine Tochter auf ihn warten und ihn bitten, ihr zu verzeihen.
    Der Abend war klar und schön, und auf dem Zócalo tobte das Leben. Es roch nach schmelzendem Zucker und Vanille, nach den Lilien der Blumenhändler und dem Chili und Koriander der Tortilla-Bäcker. Zur Linken des Palastes, wo eine Reihe hoher Platanen den Zócalo von der Straße trennte, war ein Viereck für die Wagen der Regierungsmitglieder abgesperrt. Hier war es stiller als vorn im Getümmel. Ein paar Kutscher dösten auf ihren Böcken oder lehnten an den Kabinen und rauchten. Zwei spielten auf einer umgedrehten Kiste Conquian. Sonst geschah nichts.
    Den Wagen ihres Vaters hatte Josefa rasch erspäht, doch seinen Kutscher konnte sie nirgends entdecken. Da die Pferde angepflockt waren, nahm sie an, der Vater habe ihm für den Rest des Abends freigegeben. Er war wie Anavera, er liebte Pferde und lenkte sie gern selbst. Aber er ist auch wie ich, dachte Josefa, setzte sich auf das Trittbrett des Wagens und fuhr mit zwei Fingern über den Einband ihres Textes. Anavera hat kein Talent zum Schreiben.
    Es wurde kühl, und sie wünschte, sie hätte ihre Mantilla mitgenommen. Einer der Conquian-Spieler wurde von seinem Herrn gerufen, und das Getuschel, das das Spiel begleitet hatte, verstummte. Der Lärm des Platzes drang als stetes Murmeln an ihr Ohr, und in ihrem Rücken ließ leichter Wind das Laub der Bäume rascheln. Josefa lauschte. Auf einmal vermeinte sie unter dem Rascheln Stimmen auszumachen, und kurz war es ihr, als würde eine der Stimmen

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