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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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fand, waren Spinnweben, Unrat und zwei, drei Möbelstücke, in einem so bejammernswerten Zustand, dass sich Anna kaum traute, sie zu berühren. Auch in den Räumen im Obergeschoss gaben weder ein Foto noch ein verblichenes Poster, kein vergessenes Buch, nicht einmal ein Stück Papier ihr irgendeinen Hinweis auf die ehemaligen Bewohner.
    Wer warst du eigentlich?
Es war diese Frage, die Anna weitermachen, sie jedes Zimmer ein zweites Mal inspizieren ließ, und sie wurde immer ratloser. War es wirklich möglich, dass ihre Mutter an einem Ort wie diesem gelebt hatte? Anna schüttelte unwillkürlich den Kopf. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es in diesem Haus sehr lebendig, bunt und vor allem unordentlich zugegangen war, nicht gerade das bevorzugte Biotop ihrer Mutter. Sie hätte sich im Foelkenorth garantiert nicht wohl gefühlt. Und doch hatte Laksmi-Ingrid ihre Briefe hierher gesandt. Anna hatte sich mehrfach vergewissert: Es gab in ganz Deutschland keinen anderen Ort dieses Namens. Nach einer weiteren halben Stunde erfolglosen Suchens hockte sich Anna frustriert auf die oberste Treppenstufe. Ihr Ostfriesland-Ausflug war ins Leere gelaufen. Das Haus war regelrecht geplündert worden. Sie stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Sie hatte sich so sehr gewünscht, hier etwas zu finden! Irgendetwas, das ihre Zweifel und die Unsicherheit beseitigen konnte, die seit dem Brieffund an ihr nagten. Etwas, das ihre Fragen beantwortete.
    Sie hätte später nicht mehr sagen können, wie lange sie dort gekauert hatte, nicht fähig, sich zu bewegen. Die in den letzten Monaten unterdrückte Trauer über den Verlust ihrer Mutter drang erneut mit Macht an die Oberfläche. Sie schrak erst auf, als in den Tiefen des verlassenen Hauses das Leben erwachte. Kleine Tierchen – Ratten, Igel, Vögel? –, ermutigt durch die Stille, verließen ihre Schlupflöcher. Leises Rascheln und Wispern erfüllte jeden Winkel und brachte Anna zurück in die Gegenwart. Sie stieß einen Seufzer aus, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und erhob sich. Sie würde der Form halber noch einen Blick in die Ställe werfen, machte sich aber keinerlei Hoffnung.
     
    Die Scheune zur linken Seite des Hofes war vollkommen leer gewesen, und nun strebte Anna zielstrebig auf die schwarz gähnende Türöffnung des letzten Gebäudes zu. Sie hatte es plötzlich eilig, Foelkenorth zu verlassen und die ganze Geschichte einfach zu vergessen. Das Leben war auch so schon problematisch genug. Vielleicht sollte sie doch hin und wieder auf Timo hören und nicht so viel grübeln. Sie betrat den dämmrigen Stall.
    Zu beiden Seiten eines etwa drei Meter breiten Mittelganges verlief eine taillenhohe Mauer mit mehreren Durchgängen, und winzige Fenster waren weit über Kopfhöhe in die Außenmauer eingelassen. In einer der Öffnungen hing sogar noch ein Holzgatter in den Angeln. Ansonsten herrschte auch hier gähnende Leere. Anna ging mit schnellen Schritten den Gang hinunter. Das verlassene Gebäude war ihr unheimlich. Sie wollte gerade umkehren, als ihr etwas Dunkles in der hintersten Ecke auffiel. Zögernd näherte sie sich.
    Anna schrie auf, als eine große Gestalt auf sie zukam.
     
    Es war nur ein Schrank. Ein richtiger alter Omaschrank mit einem fast blinden Spiegel in einer der Türen. Anna lachte hysterisch auf. Es war unfassbar: Sie hatte sich von einem blöden Spiegel ins Bockshorn jagen lassen – wie ein Teenager, der sich zu viele Mystery-Serien im Fernsehen ansah.
    Anna öffnete die Schranktür. Leer, wie erwartet, lediglich zwei Kleiderbügel hingen auf der Stange. Sie schloss die Tür wieder und zog schwungvoll eine der Schubladen auf. Zu schwungvoll: Die Schublade rutschte erstaunlich leicht aus ihrem Fach und krachte Anna vor die Füße. Ein Papierschnipsel segelte langsam hinterher. Anna bückte sich, um ihn aufzuheben. Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie einen kleinen, hellen Gegenstand ganz hinten in dem Schubladenfach. Sie zog eine dünne Silberkette mit einem überraschend schweren Anhänger hervor. Neugierig hielt sie den Anhänger in Richtung der Fenster, um die Details besser erkennen zu können, als der durchdringende Ton einer Autohupe die Stille abrupt beendete.
    Anna schob den Papierschnipsel und die Kette in ihre Jeanstasche und hastete den langen Mittelgang zurück. Das Hupen riss nicht ab, und sie ärgerte sich darüber, dass sie ihre Schritte noch beschleunigte. Es würde schon kein

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