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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Bankerte!«, zeterte sie, und ihre Augen blitzten. »Drunter und drüber ging es da. Und keiner wusste, wer die Väter waren, hätt ja jeder sein können. Verheiratet? Keiner, nee! Die haben sogar nackt im Garten getanzt!« Die alte Frau schüttelte missbilligend den Kopf. »Aber meine Aline, die ist ’ne anständige Deern. Hätt sonst auch was hinter die Löffel gesetzt, hätt es.«
    »Mutter!«
    »Ist doch wahr. Sündenpfuhl!« Viel fehlte nicht, und die Alte hätte ausgespuckt.
    »War es wirklich so schlimm?«, fragte Anna.
    »Keine Ahnung«, antwortete die Tochter resigniert und fügte mit verkniffener Miene hinzu: »Sie haben es ja gehört: Wenn ich mich in die Nähe des Foelkenorths gewagt hätte, dann …« Sie beendete den Satz nicht, und es war auch nicht nötig.
    »Kannten Sie die Leute?«
    »Nein. Sie lebten für sich, in ihrem eigenen Mikrokosmos. Die ganze Gegend hat sich das Maul zerrissen, und ich muss gestehen, dass die Hippies auch mir ein wenig unheimlich waren. Was machten die den ganzen Tag? Wovon lebten die? Gearbeitet hat jedenfalls keiner. Im Gegensatz zu den anderen hier hat mir aber der Anstrich gefallen.« Sie deutete auf die verblassten Regenbogenfarben der Fassade und lachte. Ein herzliches Lachen, endlich. »Nur eine der Hippie-Frauen traf ich manchmal beim Spazierengehen in den Feldern, und wir freundeten uns an. Ein paarmal fuhren wir sogar gemeinsam nach Oldenburg, um vor neugierigen Blicken sicher zu sein. Es war immer sehr lustig und ungeheuer spannend. Sie machte all das, was ich mich nicht traute. Weglaufen von zu Hause, beispielsweise. Sie stammte nämlich eigentlich aus Gießen.«
    Anna, die immer angespannter gelauscht hatte, zog unwillkürlich die Luft ein. Ihr Magen machte einen Purzelbaum. Ihre Mutter war in Gießen aufgewachsen! Ihre Großeltern, die sie, Anna, nie kennengelernt hatte, weil sie zwei Jahre vor ihrer Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatten ihr ganzes Leben dort verbracht.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Frau besorgt. »Sie werden plötzlich so blass.«
    »Alles in Ordnung«, log Anna. Nichts war in Ordnung. »Hieß Ihre Freundin zufälligerweise Bärbel?«
    »Nein. Ihr Name war Ingrid. Jedenfalls, bevor sie nach Indien ging. Danach nannte sie sich Lari oder Liksi oder so.«
    »Laksmi.«
    »Genau, Laksmi. Bescheuerter Name. Ich habe sie nach dieser Reise nur noch ein- oder zweimal getroffen. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Ingrid schien mit ihren Gedanken nur noch in Indien zu sein. Sie hatte da einen Guru oder so etwas.«
    »Wissen Sie, was diese Ingrid heute macht? Wo sie lebt?«
    »Keine Ahnung. Die Hippies machten sich irgendwann einer nach dem anderen aus dem Staub, auch Ingrid. Sie hinterließen eine Ruine. Eine unverkäufliche Ruine. Michelsen kann sich nicht dazu durchringen, den Hof abzureißen. Er überlegt es allerdings schon ganz schön lange.«
    Anna ging nicht auf die letzte Bemerkung ein. »Hat Ingrid jemals eine Frau namens Bärbel erwähnt? Sie war ihre beste Freundin.«
    »Nein, das habe ich doch schon gesagt. Die hatten alle so komische Phantasienamen, die sich kein Mensch merken kann. Wieso wollen Sie das eigentlich wissen? Wieso kannten Sie Ingrids Spitznamen? Sie suchen doch gar kein Ferienhaus.« Aus der Miene der Frau sprach jetzt unverhohlenes Misstrauen.
    »Nein«, murmelte Anna leise.
    »Dürfte ich erfahren –«
    »Sie dürfen nicht«, schnitt Anna ihr brüsk das Wort ab. Der Ton der Blonden hatte sie wütend gemacht. Was bildete sie sich eigentlich ein? Es war schließlich nicht verboten, Fragen zu stellen.
    »Und ob ich das darf. Sie kommen hierher, dringen in ein fremdes Haus ein und stochern in der Vergangenheit herum. Und jetzt werden Sie auch noch patzig.«
    »Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte Anna, insgeheim ihre gute Kinderstube verfluchend. »Aber das geht Sie wirklich nichts an.« Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stapfte durch die Pfützen zu ihrem Auto zurück. Sie war völlig aufgewühlt.
     
    Während der Fahrt zurück nach Lüneburg schrillte das Wort Hippie! Hippie! Hippie! wie ein Mantra in Annas Kopf. Ihre Mutter ein Hippie? Unmöglich. Annas Gehirn arbeitete auf Hochtouren, erfand immer neue Erklärungen für das Unerklärliche. Vielleicht kannten sich Ingrid und Bärbel aus Gießen, und ihre Mutter hatte sie dort oben in Ostfriesland besucht. Aber warum war Bärbel genau zu der Zeit dort gewesen, als sich Ingrid in Indien herumtrieb? Wenn sich Bärbel

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