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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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überhaupt jemals auf dem Foelkenorth aufgehalten hatte. Vielleicht handelte es sich wirklich um eine Verwechslung? Der Name Bärbel war in den Fünfzigern sehr beliebt gewesen. Aber warum hätte ihre Mutter die Briefe dann aufbewahren sollen? Und warum waren es fünf Briefe? Es ergab alles keinen Sinn.
    Im Laufe der Fahrt bereute Anna mehr und mehr, am Ende so unhöflich zu dieser Blondine gewesen zu sein. Mit etwas Diplomatie hätte sie sicher noch einiges in Erfahrung bringen können. Sie hatte die Chance vertan. Einmal in ihrem Leben war sie impulsiv gewesen, und sofort rächte es sich.
    Ein Kleinwagen scherte vor ihr auf die linke Fahrspur aus, um ein langsam vor sich hin zockelndes Wohnwagengespann zu überholen. Erschrocken trat Anna auf die Bremse. Sie schaffte es, den Wagen in der Spur zu halten, doch ihr heftig schlagendes Herz drohte in einem tiefen See aus Adrenalin unterzugehen. Normalerweise war sie eine vorsichtige und vor allem vorausschauende Fahrerin, die sich meistens an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielt, aber als der Kleinwagen vor ihr ausgeschert war, war sie mindestens hundertsiebzig gefahren und hatte ihre Gedanken überall gehabt, nur nicht auf der Straße. Hätte sie an Gott geglaubt, hätte sie ihm jetzt dafür gedankt, dass niemand zu Schaden gekommen war.
    Erschöpft von dem Beinahe-Unfall und dem Mahlstrom in ihrem Kopf, setzte Anna schließlich erleichtert den Blinker für die Lüneburger Autobahnabfahrt und schlich mit knapp dreißig Stundenkilometern durch die vertrauten Straßen zu ihrer Wohnung.
     
    Am nächsten Morgen tat Anna etwas, was sie sich noch nie erlaubt hatte: Sie meldete sich krank, ohne wirklich krank zu sein. Rief ihren Vorgesetzten im Finanzamt an, murmelte etwas von Bauchschmerzen und Schwindelgefühl und Fieber, legte auf und kroch zurück ins Bett. Schloss die Augen und merkte, dass sie tatsächlich Bauchschmerzen hatte. Schwindelig war ihr ebenfalls, und die Temperatur ihrer Stirn ließ auf vierzig Grad schließen. Mindestens. Draußen zwitscherten die Vögel, und die fröhlichen Geräusche eines strahlenden Montagmorgens im Juni – das Wetter hatte sich nach dem verregneten Sonntag doch noch entschlossen, sich der Jahreszeit gemäß zu benehmen – krochen durch das gekippte Schlafzimmerfenster direkt in Annas brummenden Schädel. Sie hatte ganz vergessen, ihrem Chef zu sagen, dass sie auch Kopfschmerzen hatte. Woher die kamen, wusste sie: Médoc. Eine ganze Flasche, mehr oder weniger auf ex. Sie hatte am Abend zuvor keine andere Möglichkeit gesehen, die Stimmen in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen. Die Fragen abzustellen, die sich jetzt erneut mit Macht in ihr Bewusstsein drängten, allen voran die eine, die einzige: Sollte sie ihren Vater mit den Briefen und dem Foelkenorth konfrontieren?
    Es wäre das Nächstliegende, aber konnte sie es ihm zumuten? Worum auch immer es ging, es war mit Sicherheit schlimm, sonst hätten ihre Eltern schließlich kein Geheimnis daraus gemacht.
    Stöhnend schlug sie die Augen auf. Das durch das Ostfenster fallende Morgenlicht stach mit Messern in ihr Hirn, aber sie zwang sich, die Augen offen zu halten. Im Grunde hatte sie ihren Entschluss längst gefasst: Sie würde ihren Vater nicht damit belästigen. Unter anderem auch deshalb nicht, weil er vielleicht selbst nichts wusste, und sie wollte wahrhaftig keine schlafenden Hunde wecken. Im Übrigen durfte sie auf keinen Fall seine Genesungsfortschritte gefährden, denn er war nach wie vor äußerst labil. Sie war schon froh gewesen, als er sich seine Brote wieder selbst schmierte. Nachdem sie sich das Für und Wider mehrmals hatte durch den Kopf gehen lassen, stand Anna schließlich widerwillig auf und frühstückte einen Tee mit Aspirin.
    Den Vormittag über lief sie unruhig in ihrer Wohnung herum. Räumte Sachen von links nach rechts und wieder zurück. Wienerte den Flurspiegel. Widmete sich mit Inbrunst dem Schmutz oben auf den Küchenschränken und hinten im Schuhschrank. Suchte sich im Internet die Telefonnummern aller in Gießen ansässigen Menschen namens Doggenfuss heraus – viele waren es nicht. Polierte den Silberanhänger, den sie in dem Schrank im Kuhstall gefunden hatte. Als sie fertig war, sah er ganz hübsch aus, obwohl er eigentlich überhaupt nicht Annas Geschmack entsprach. Sie mochte geradlinigen Designerschmuck, schlicht und gut gearbeitet, während dieser Anhänger eher von der groben Sorte war. Ethnoschmuck mit Türkisen und Korallen, wie man ihn

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