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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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fort.
    »Nein«, sagte er barsch. »Darauf brauchen wir nicht zu hoffen. Und nun nimm deine Doko und verteile den Mist auf dem Feld. Ich möchte die Arbeit abgeschlossen haben, bevor der Regen kommt.«
     
    Der Regen begann in der Nacht und offenbarte die undichten Stellen des alten Strohdaches. Tara, ihre Eltern, selbst der kleine Dipak und die gebrechliche Großmutter sprangen von ihren Lagern, um Gefäße unter die Löcher zu stellen. Dann kletterten Tara und ihr Vater auf das Dach des niedrigen Hauses und stopften die größten Löcher mit Kunststoffplanen und Decken.
    »Bei Tageslicht müssen wir neues Stroh auflegen!« Obwohl er schrie, konnte Tara ihren Vater in dem mit urtümlicher Gewalt niederprasselnden Regen nur mit Mühe verstehen.
    »Ich habe das Stroh in den letzten Tagen vorbereitet!«, brüllte sie zurück, während sie sich mit einem größeren Stück Plane abmühte. Mit klammen Fingern versuchte sie, es mit einem Band an einem aus dem Dach ragenden Balken zu befestigen, aber der Kunststoff entglitt ihr immer wieder. Wütend zerrte sie an der schweren Plane. Die heftige Bewegung ließ sie den Halt verlieren, und mit einem erschrockenen Aufschrei rutschte sie das abschüssige Dach hinunter. Verzweifelt versuchte sie, sich an dem glitschigen Stroh festzukrallen, aber vergeblich. Sie prallte hart auf den Steinboden des Hofes und blieb benommen liegen.
    »Tara, Tara! Kanchhi!«
    Tara schlug die Augen auf und starrte direkt in die Augen ihres Vaters. Er lag bäuchlings auf dem Dach und blickte über die Kante auf sie hinunter. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er zu Tode erschrocken war. Tara hob erst den rechten Arm, dann den linken. Unter seinen angstvollen Blicken tastete sie sich ab und rappelte sich schließlich auf. Ihr Gesicht war nun weniger als eine Armlänge von dem ihres Vaters entfernt.
    »Gut, dass wir keine reichen Leute sind und nur ein einstöckiges Haus besitzen«, sagte sie und versuchte ein Lächeln. Es geriet ein wenig schief, denn ihr rechter Fuß schmerzte. Hoffentlich war er nicht gebrochen.
    »Wären wir reich, würde ich uns ein zweistöckiges Haus mit einem Wellblechdach bauen«, erwiderte Dipendu, dann verschwand sein Kopf. Wenige Augenblicke später stand er neben seiner Tochter. Er wollte gerade zu sprechen anheben, als ein lautes Gebrüll sie beide zusammenzuckten ließ. Tara begriff als Erste.
    »Die Büffelkuh! Sie kalbt!« Bevor ihr Vater sie zurückhalten konnte, humpelte sie eilig davon.
    Sie kamen gerade rechtzeitig. Als Tara und ihr Vater den Unterstand erreichten, war das Köpfchen schon zu sehen, wenige Minuten später folgte der Rest des Kälbchens. Tara löste die Fußfesseln der Büffelkuh, damit sie sich umdrehen und ihr Neugeborenes trockenlecken konnte – sofern das möglich war bei dem fast ungehindert durch das Dach fallenden Regen. Zum Glück für das Kalb war die Luft noch immer sehr warm. Ihren pochenden Fuß ignorierend, hockte Tara sich neben die Büffelkuh und bedeutete ihrem Vater, er solle zum Haus zurückkehren und sich um die Mutter, Dipak und die Großmutter kümmern. Sie würde bei den Tieren Wache halten, um sicherzustellen, dass das Kleine noch diese Nacht von der Milch der Mutter trank, denn andernfalls würde es sterben. Nach einer langen Weile versuchte sich das Kälbchen aufzurichten, knickte aber immer wieder ein. Tara beugte sich vor und unterstützte es sanft. Und dann sah sie es.
    Das Kälbchen hatte nur drei Beine.
    Mit einem flauen Gefühl drückte Tara das verkrüppelte Tierchen an sich. Das Leben bot ihm keine Chance. Genauso wenig wie ihrer Familie.

[home]
7
    D er Sommer hatte in Ostfriesland ganze zwei Tage gedauert, dann waren die Wolken wieder aus ihren Verstecken gekrochen und verschleierten die flache Landschaft mit einem feinen Nieselregen.
    Anna war eine echte Niedersächsin, die in der prallen Sonne verdorrte und einen Spaziergang an der Nordsee einem schweißtreibenden Tag am Mittelmeer vorzog. Weshalb sie auch noch nie südlicher als Marseille gewesen war. Regen machte ihr nichts aus. Eigentlich.
    Heute sah es anders aus. Heute hätte sie sich einen strahlenden Tag gewünscht, einen Tag, an dem sie die Autofenster herunterlassen, eine CD einlegen und beschwingt mitsingen konnte, während sie langsam durch das sattgrüne Ostfriesland mit seinen prachtvollen Schwarzbunten rollte und verdrängen durfte, was sie eigentlich vorhatte. Nun, es war Wunschdenken gewesen, auch wenn die Schwarzbunten erwartungsgemäß

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