Im Tal des Schneeleoparden
schwanger.«
Ihre Worte blieben in der Luft hängen, und es dauerte eine Weile, bis Bärbel wirklich verstand, was Jutta gerade gesagt hatte.
»Wie kommst du darauf?«, stotterte sie dann.
Jutta zählte ihre Beobachtungen an den Fingern ab. »Dir ist grundsätzlich morgens schlecht. Du ekelst dich vor Kaffee, obwohl du mir sagtest, dass du ihn eigentlich magst, du hast dich über Schmerzen in deinen Brüsten beklagt, du bist dauernd müde. Reicht das? Ich schätze, du bist Ende des zweiten Monats.«
»Um Gottes willen.« Bärbel musste sich am Waschbecken abstützen. »Woher weißt du das alles?«
»Von meiner großen Schwester. Ich bin Tante von zwei kleinen Jungen.« Sie streichelte Bärbel über die Wange. »Du siehst furchtbar aus. Ist es so schlimm?«
»Schlimm?« Bärbel schüttelte nachdenklich den Kopf. Sie fühlte eine Wärme in sich aufsteigen, ein Glücksgefühl sich ausbreiten, das alles überstieg, was sie je empfunden hatte. »Nein, es ist das Schönste, was passieren konnte!« Strahlend umarmte sie Jutta. »Komm, lass uns gemeinsam frühstücken. Ich muss mein Glück mit jemandem teilen.«
»Gern. Ist dieser Franzose der Vater?«
»Natürlich! Wer denn sonst?«
»Ich frag ja nur.« Bevor Bärbel ihr einen Knuff geben konnte, verschwand sie lachend in der Toilettenkabine.
Plötzlich sah Bärbel Kathmandu in einem anderen Licht. Ihr hatte die kleine Königsstadt von Anfang an gefallen, sie hatte sie jedoch vor allem als eine Kulisse für ihr Leben mit Sylvain angesehen. Die Menschen waren ihr fremd geblieben, sie hatte sich weder für ihre Kultur noch ihr Alltagsleben interessiert, was sich nun änderte. Sie wanderte häufig allein durch die Gassen, und man musste ihr das Glück ansehen, denn viele Nepalesen, Frauen wie Männer, alte und junge, lächelten ihr zu. Häufig ließ sie sich zu einer Tasse Tee einladen und genoss die ihr entgegengebrachte Wärme. Auch das Handeln um jeden kleinsten Apfel bereitete ihr keine Probleme mehr, im Gegenteil, sie genoss es, dazuzugehören. Mehr als einmal ertappte sie sich bei der Vorstellung, mit ihrem und Sylvains Kind an der Hand durch die Gassen zu laufen, angetan mit einem roten Sari und den Scheitel wie die verheirateten Frauen mit Zinnoberpulver gefärbt. Ihr Hochgefühl erhielt erst einen Dämpfer, als sie bewusst wahrnahm, wie viele Kinder barfüßig und in Lumpen durch Kathmandu tobten, die Augen vereitert und voller Fliegen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, hierzubleiben. Aus Rücksicht auf das Kleine mussten sie nach Europa zurückkehren.
Sie würde mit Sylvain darüber sprechen, sobald er wieder da war. Kurz stahl sich ein leises Unbehagen in ihr Herz: Was, wenn er das Kind gar nicht wollte? Doch es gelang ihr mit Leichtigkeit, diesen Gedanken zu verbannen. Sie hatte keinen Grund, an seiner Liebe zu zweifeln. Bester Laune schlenderte sie mit ihrem Einkauf zum Hotel zurück. Sylvain hatte ihr genügend Geld gegeben, um auch einmal über die Stränge schlagen zu können, und so hatte sie sich heute einen Sari – einen grünen, keinen roten – sowie dazu passende Glasarmreife gekauft.
Im Innenhof der Lodge herrschte helle Aufregung. Sobald Jutta Bärbel sah, winkte sie sie zu ihrem Tisch herüber.
»Hast du schon von dem Filmteam aus Indien gehört?«
»Ja. Was ist damit?«
»Sie suchen Statisten.«
»Aber doch sicher keine Europäer?« Bärbel setzte sich auf die äußerste Kante der Bank und schob ihre Tasche unter den Tisch.
»Doch, Europäer. Ich habe keine Ahnung, was sie drehen, aber sie brauchen uns, möglichst bunt gekleidet. Kommst du mit?«
Ein paar Tage später fand sich Bärbel am frühen Abend inmitten einer großen Gruppe Hippies und Nepalesen im Kasthamandap wieder, dem wandlosen großen Haus auf dem Durbar-Platz. Sie hatte sich ihre rote Bluse angezogen, ein pinkfarbenes Tuch um ihre Stirn gewunden und einige Strähnen ihrer langen Haare zu dünnen Zöpfen geflochten. Ihr grünes Tuch, Sylvains Geschenk, nahm sie natürlich ebenfalls mit. Die Filmleute liefen wie aufgescheuchte Hühner um das Haus herum, Lampen wurden positioniert, die Hippies von einem Platz zum anderen und wieder zurück dirigiert. Der ganze Wirbel machte Bärbel Spaß und lenkte sie von der Enttäuschung ab, dass Sylvain auch nach sechseinhalb Wochen noch nicht zurückgekehrt war. Sie machte sich Sorgen, doch Jutta und Manfred hatten sie bisher immer zerstreuen können. In den Bergen seien die Entfernungen nun mal schwer
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