Im Tal des Vajont
übertriebene Entrahmen der Milch grasgrün und steinhart wurde, völlig gehaltlos. Zum Glück war der große Hunger nur von kurzer Dauer, die Leute fingen wieder an zu arbeiten, und ich und Raggio konnten mit der Käserei einigermaßen gut leben, zumindest gab es wieder für alle gerade genug zu essen.
Über das Ausfahren ins untere Friaul und das Zurückkehren zum großen Haus war es Mitte Juli geworden. Ihr ging es gut, und eines Abends, als alle zum Essen am Tisch saßen, sagte sie, als wäre nichts, dass die Familie Zuwachs bekommen würde, weil sie seit mehr als zwei Monaten schwanger sei. Ich senkte den Kopf und hörte auf zu essen. Dem Padrone blieb im ersten Augenblick der Löffel in der Luft stehen, dann brummelte er ein wenig, weil sie es nicht schon früher gesagt hatte, doch setzte gleich hinzu, dann müsse man ja ein Fest für das Kind organisieren, das sich nun elf Jahre nach dem letzten ankündigte.
So wurde an diesem Abend ausgiebig gefeiert und getrunken, und auch die Frauen waren am Ende alle betrunken. Und als die Brüder des Padrone nach zwei großen Flaschen lauthals zu singen anfingen, sangen alle gleich mit. Ich sang, ehrlich gesagt, nur wenig, denn mit dem Singen kam mir sofort auch Raggio wieder in den Sinn, worauf ich dann schlagartig aufhörte, als hätte er mir die Zunge abgeschnitten. Doch einen Moment lang ließ mich das Wissen, ein Kind zu bekommen, singen und auch fröhlich sein, denn der Padrone schöpfte überhaupt keinen Verdacht, dass das erwartete Kind meins sein könnte. Aber die Geburt wurde erst im Januar erwartet, und bis dahin war es noch ein langer Weg.
Während die anderen noch sangen, dachte ich schon daran, fortzugehen und nur hin und wieder, höchstens zweimal im Jahr, zurückzukehren; so könnte ich dann, unter dem Vorwand, sie aus Dankbarkeit begrüßen zu wollen, einen Blick auf mein Kind werfen. Das war alles, was ich wollte, ab und zu das Kind sehen und fertig. Ich war sicher, es würde dieses Mal normal auf die Welt kommen, und die Aussicht, es dann wenigstens hin und wieder sehen zu können, hielt mich am Leben.
Aber dabei hatte ich nicht meine Sünden mit eingerechnet, so wenig wie den Fluch der alten Melissa.
20. Juli 1920. Draußen ist es sehr heiß, aber ich fühle Kälte, und ich spüre Schnee, überall Schnee. Ich bin nicht klug und habe nicht studiert, nur die vierte Klasse Grundschule abgeschlossen, doch zwei plus zwei kann ich auch zusammenzählen. Bisher wollte ich es nicht wahrhaben, und nach dem, was mir jetzt vor einigen Tagen passiert ist, weiß ich, dass ich nunmehr weder Zeit noch die Kraft dazu habe, mich zu retten. Bevor ich sterbe, will ich noch meine Geschichte erzählen, früher oder später wird jemand sie finden und dann wissen, was geschehen war. Ich wollte alles Don Planco erzählen, dem Priester aus Erto, der das Kind im Käselaib gefunden hatte, aber als ich ihn Weihnachten – jetzt weiß ich, es wird das letzte sein – aufsuchen wollte, sagten sie mir, dass Don Chino Planco für eine gewisse Zeit zu seinem Haus nach Sappada gefahren sei, um dort seine alten Eltern zu besuchen. Als Ersatz hatte man einen jungen Priester geschickt, der drei Tage nach seiner Ankunft im Dorf erhängt aufgefunden wurde. Er hing an einem Balken im Geräteschuppen eines Hauses, das man Buchi di Stolf nannte, und keiner hat je erfahren, ob er sich selbst erhängte oder ob es aus irgendeinem Grund andere getan hatten, wobei man eher das Letztere denkt. Was auch ich glaube, denn einer aus Soprafuoco sagte mir, dass jener Priester die Kinder betatschte, und wer hier oben bei uns ein Kind anfasst, dem gnade Gott. Also konnte ich nicht bei Don Chino beichten, weil er an diesem Tag abwesend war und ich nur ihn wollte. Am folgenden Tag wollte er für die Beerdigung des Erhängten zurückkommen, und ich hätte auch auf ihn warten können, aber dann packte mich die Angst, und ich beschloss, niemandem mehr irgendetwas zu erzählen, auch nicht Don Chino. So kehrte ich ins untere Friaul zurück, denn von jetzt an wollte ich nur mehr den Mund halten. Heute bin ich von Neuem hier in meinem Dorf, für einige Tage, nein, die letzten Tage. Jetzt ist zwar auch der Priester da, aber nun fehlt mir jede Kraft, ihm noch etwas zu sagen, lieber schreibe ich nun die ganze Wahrheit in dieses Heft, welches ich mir besorgen ließ vom Padrone des Hauses in San Michele al Tagliamento, wo ich schlafe, esse, trinke und bei der Feldarbeit helfe.
Bald wird der Januar kommen und mein
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