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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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Gegenteil, er mochte mich ja gern. Und es ist auch kein Trost, zu denken, dass seine Frau ihn mit dem Knollenblätterpilz getötet hätte, wenn ich ihm nicht die Tollkirsche verabreicht hätte. Aber schließlich kam es ja auf das Gleiche heraus, ich hatte ihm nur eine Zeit lang das Leben verlängert, um ihn dann doch zu töten. Vielleicht wäre es immer noch besser gewesen, hätte sie ihn mit dem Knollenblätterpilz umgebracht, dann wäre meine Seele jetzt ruhig.
    Aber nicht wirklich, wenn ich wüsste, dass sie ihn aus dem Verkehr gezogen und ich sie nicht davon abgehalten hätte. Ich hätte Raggio warnen können, dass sie ihn umbringen wollte, ihm sagen »Pass auf!«, aber dann wäre alles herausgekommen. »Wie sollte ich das wissen?«, hätte Raggio dann gefragt. Am Ende, dachte ich, war es doch richtig, ihm die Tollkirsche zu geben, um hier und da noch etwas zu retten.
    Verfluchter Tag, an dem ich dieser Hurenschlampe gefolgt bin.

Irgendwann entdeckte ich dann in einer Seitengasse, wo keine Menschenseele anzutreffen war, eine offene Osteria. Die Hitze ließ einen kaum atmen, auch wenn ich mir schon das Hemd aufgeknöpft und die Hosen bis über die Knie hochgekrempelt hatte. Umso willkommener war mir daher diese Osteria in Camino, wo ich einen halben Liter Wein, jenen frischen Weißen, den sie hier so gut machen, trinken konnte, weg von der Sonne, die wie aus Eimern voll Feuer auf mich niederbrannte.
    Wenn ich geahnt hätte, was ich da drinnen dann sehen sollte, wäre ich nie durch diese verfluchte Tür gegangen, nicht einmal für alles Geld, alle Schätze und alles Gold dieser Welt.
    Kaum im Gastraum, stellte ich meinen Korb in eine Ecke, setzte mich auf eine Bank und bestellte einen halben Liter Weißen beim Wirt, der hinter der Theke saß, um die fünfzig Jahre alt, mit großem langem Schnurrbart und einem Strohhut auf dem Kopf. Niemand sonst befand sich im Raum, außer uns beiden und einer kleinen lederhäutigen Alten, die ganz verdreht auf einem Stuhl saß und schnarchte, was sich dann eher wie das Schnurren einer Katze anhörte. Der Wirt nahm einen Krug und begann den Wein aus einem Fass auf der Theke zu zapfen, während ich mir unterdessen die Osteria genauer anschaute.
    Und da sah ich ihn, und mir blieb das Herz stehen. Erst blieb es stehen, dann fing es an zu rasen, und mir wurde so schwindlig, dass ich fast von der Bank fiel.
    Am Anfang konnte ich es nicht glauben, ich wollte nicht glauben, dass er es tatsächlich war. Ich dachte, es würde ihm ähneln, aber wäre es nicht wirklich.
    Doch er war es genau.
    Ich stand auf, konnte mich aber kaum auf den Beinen halten und kippte fast zur Seite, während ich näher heran ging, um besser sehen zu können. Als ich bis auf einen halben Meter an die Wand herangekommen war, reckte ich den Kopf, um ganz sicher zu sein, und da musste ich mich auch schon an der Theke festhalten, um nicht auf den Boden zu fallen, denn meine Beine waren nur noch Ricotta.
    An der Wand vor mir, eine gute Handbreit neben dem Gang hinter die Theke, hing, quer an zwei Nägeln befestigt, der Stab von Raggio. Mehrmals schaute ich genau hin, weil ich mich immer wieder davon überzeugen musste, ich wollte nicht wahrhaben, was ich da sah, nach so langer Zeit, am liebsten hätte ich mir gleich einen Kopfschuss gegeben.
    Doch ich musste mich damit abfinden.
    Es war der Stock von Raggio.
    Er sah ein wenig abgenutzt aus und so verwittert, als wären Unmengen Wasser auf ihn niedergegangen, aber er war es wirklich, und unter den Tierköpfen, der Krone, dem Adler, der Gämse und den Blumen war noch sehr gut sein Name zu lesen: Raggio Martinelli. Ich weiß nicht, ob der Wirt es merkte, aber ich musste mich sofort hinsetzen, weil mir schwindelte. Und während mir das Herz noch bis zum Hals herausschlug, starrte ich weiter diesen Holzknüppel an. Der Adler hatte einen abgebrochenen Schnabel, und auch die Hörner der Gämse waren abgebrochen, wohl alles durch den Höllensturz in die Foiba von Cornetto hinunter. Dagegen war der Vipernkopf ganz unversehrt geblieben, und nur die Hand, die ihn mit einem Stein zerquetschte, war abgebrochen. Abgebrochen und weggekratzt, als hätte am Ende die Viper über den gesiegt, der sie töten wollte.
    Ich zitterte am ganzen Körper und schwitzte kalten Schweiß, denn an der Wand hatte ich meinen eigenen Tod gesehen. An diesem Punkt merkte es auch der Wirt und fragte mich, was mir fehle, dass es mir so schlecht ginge. Leise brummend antwortete ich, es sei vielleicht ein

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