Im Tal des Vajont
sie brauche nichts, denn zum Essen und Schlafen gebe es in diesem Haus selbst für zwanzig Kinder noch genug Platz, und das Einzige, was sie brauche, sei ich.
Sie sagte, mich auch nur hin und wieder zu sehen mache sie schon glücklich, es reiche ihr, zu wissen, dass ich da bin. Nach ihren Berechnungen müsste der Junge oder das Mädchen, was immer, um Mitte Januar zur Welt kommen, und ich dachte, das wäre dann im kältesten Monat, wie die kleine Neve, die in meiner Nähe zu weinen anfing, genau so, wie wenn Raggio ihr nahe kam.
Diese Neuigkeit mit dem Kind wirbelte alles in mir durcheinander, wie ein plötzlicher Windstoß, der ins Laub fährt, und riss mich mit, wie eine Lawine einen Baum mitreißt. Ein wenig schämte ich mich, und ein wenig war ich glücklich darüber. Ich schämte mich über mich selbst, denn wieder einmal hob ich hinterrücks die Axt gegen einen großzügigen Freund, indem ich mich auf seine Frau einließ und sie dazu noch schwängerte. Aber ich war auch ein wenig glücklich, dass dieses Kind geboren würde, weil wir zwei uns lieb hatten. Ich wenigstens hatte sie lieb gewonnen, und ich war mir sicher, dass auch sie das Gleiche empfand. Aber nach dem, was ich Raggio angetan hatte, konnte ich nur für ein paar Minuten glücklich sein, denn ich wusste, in meinem Leben gab es keine Hoffnung mehr auf ein anderes Leben und auch keinen Platz mehr für schöne Dinge. Selbst wenn ich Raggio nicht umgebracht hätte, konnte ich trotzdem nichts mehr erhoffen, denn sie hatte ihre Kinder, ihre Familie, und ich wollte nicht noch einmal eine Familie zerstören.
Immerhin blieb mir die Freude, ein Kind zu haben, das schließlich auch geboren werden und weiterleben würde, es sei denn, es würde noch unversehens ein Unglück geschehen, wie manchmal bei frisch geborenen Kälbern.
Mir reichte es zu wissen, es gibt dieses Kind, das allein machte mich schon glücklich, und sollte ich es auch nur ab und zu sehen oder nur ein einziges Mal, es wäre schon gut. Dieses Kind würde es mir, selbst aus der Ferne, ermöglichen weiterzuleben, und das war für mich nicht wenig.
Kaum hatte sie mir gesagt, sie sei schwanger, beschloss ich, nicht mehr nach Triest aufzubrechen, sondern höchstens hier im Umkreis über die Dörfer zu ziehen, aber ich wollte immer wieder zum Gutshaus zurückkehren, um unbemerkt mitzuverfolgen, wie sich die Dinge entwickelten und vor allem sie mit ihrem Kleinen im Bauch.
Nach dieser Neuigkeit begann ich noch mehr zu trinken, und oft führte mich dann der Padrone zum Schlafen in den Stall, wenn er mich, zurück von irgendeiner Osteria, im Hof sitzend mit dem Kopf zwischen den Händen antraf. Während ich tagsüber, wenn ich nicht trank, ordentlich arbeitete, dem Padrone bei der Feldarbeit zur Hand ging, mithalf beim Melken, beim Versorgen der Tiere, bei der Kontrolle der Weinberge. Selbst in der Käserei half ich aus, wenn sie mich dringend brauchten.
Aber ab und zu, vielleicht jeden dritten oder vierten Tag, nahm ich meinen mittlerweile fast leeren Karren, um eine Tour durch die Dörfer im unteren Friaul zu machen, denn das ruhige Dahingehen zwischen den Zugstangen schien mir zugleich auch die Gedanken fernzuhalten.
Im Gehen zwischen den Stangen versuchte ich an nichts zu denken und blickte über jene Ebenen, in deren endlosen Weiten sich die Augen verloren und die so reich an allen Gütern dieser Welt waren. Da dachte ich bei mir, wie arm und wild doch mein Dorf war, alles nur steil, karg und mager, einschließlich der Kühe, Ziegen und Menschen. Nur Schinderei und Elend gab es dort oben in Erto, aber mir gefiel diese Erde, wo ich geboren worden war, auch wenn sie karg und mager war und die Kühe Gerippe, die höchstens acht Liter Milch beim Melken gaben.
Dabei war es vorher, während des Krieges, noch schlimmer. Zum Glück wurde ich nicht an die Front gerufen, so konnte ich mich mit Holz und ein paar Tieren abgeben, sonst wäre ich dort oben vor Hunger gestorben. Und auch Raggio musste nicht in den Krieg. Ich kann mich erinnern, wie jene, die im Krieg gekämpft hatten, uns bei ihrer Heimkehr – viele kehrten eh nicht mehr heim – anmaulten, weil wir zwei noch einmal davongekommen waren, als wäre es unsere Schuld, dass wir nicht zum Krieg eingezogen wurden.
Am schlimmsten war es nach 1918, sich wieder hochzurappeln. Es gab nichts, man hatte nichts, nur ein paar abgemagerte Kühe, die man noch am Leben hielt wegen der Milch, ein wenig Butterschmalz und der Ricotta, der durch das
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