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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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meines Vaters lagen noch da. Ich nahm sie und ging mit ihnen vor das Haus, wo ich einen Stein aus der Hausmauer herausnahm, sie dort hineinlegte und den Stein dann wieder zurück an seinen Platz setzte. Mit einem Mal wurde mir jetzt alles klar, ich hatte es zwar auch vorher schon gewusst, nur war es so offensichtlich, dass ich nicht den Mut hatte, es mir einzugestehen. Vorher jedoch hatte ich noch ein wenig gehofft, wollte noch warten, um klarer zu sehen, Zeit vergehen lassen, um mich dann vielleicht selbst überzeugen zu können, dass ich mich irrte. Doch ich irrte mich nicht: Der Tod von Pilo dal Crist Corona, Jacon de Arcangelo Zoltan, Toni della Val Martin und Piare Stort de Narmo war kein Zufall. Sie alle waren die Schnitter, welche die alte Melissa aus dem Weg räumten, weil sie sich das Übernachten in ihrer Höhle am Palazza gegen Gold aufwiegen ließ.
    Und wenn ich mich recht erinnere, sagte mir de Narmo eines Tages, dass diese Schlampe von Melissa jetzt ein kühles Plätzchen gefunden habe. Aber innerhalb kurzer Zeit starben die Schnitter dann alle. Pilo rutschte in einen Abgrund, Jacon de Arcangelo wurde von einer Viper gebissen, Toni della Val vom Blitz erschlagen, und Piare Stort schnitt sich mit der Sense die Schlagader im Bein auf und verblutete. Nach all diesen Vorfällen wunderte ich mich nicht wenig, dass mir und Raggio nie irgendetwas Schlimmes zugestoßen war, denn ehrlich gesagt, so ganz unbeteiligt waren wir an der Sache auch nicht gewesen.
    Und bevor ich weiter fortfahre, möchte ich dazu jetzt ehrlich und rundheraus etwas beichten, denn nun habe ich nichts mehr zu verlieren.
    Ja, ich und Raggio, wir hatten die Idee, die alte Melissa umzubringen. Wir haben den vier Schnittern gesagt, dass diese verfluchte Hexe ein für allemal aus dem Verkehr gezogen gehört. Worauf sie, ohne uns etwas zu sagen, die Alte verschwinden ließen, und keiner hat jemals erfahren, wo sie sie hinuntergeworfen haben, nicht einmal uns sagten sie es. Nur de Narmo machte noch kurz vor seinem Tod die Andeutung, dass die Schlampe es jetzt schön frisch hätte, aber mehr sagte er nicht. Sicher haben sie sie in eine der zwei Kilometer tief abstürzenden Felsrinnen auf der Schattenseite des Palazza gegenüber vom Cadoreberg geworfen. Und unten ist sie dann wahrscheinlich im Sturzbach Montina gelandet, auf der Seite von Lavestra. Das hat Piare Stort vielleicht gemeint, als er davon sprach, dass die Schlampe es jetzt kühl habe. Aber nicht nur die vier waren für den Tod der Alten verantwortlich. Ich glaube, auch Zulìn Cesto ist schuldig, weshalb er sich wohl tatsächlich erhängte während der Karfreitagsprozession. So wie auch Carle dal Bus dal Diaul, der sich mit seinem Haus anzündete und verbrannte. Und auch Jacon Piciol, der im Eis erfror.
    Oft schon habe ich mich gefragt, warum alle ins Verderben gestürzt wurden und nur mir und Raggio nichts passierte. Denn im Grunde war es ja unser Plan gewesen, die Alte zu töten. Jetzt frage ich mich nicht mehr, denn ich weiß, warum.
    Mein Leben ist nichts mehr als ein zittriges Blatt, und ich frage mich nicht mehr.
    Die alte Hexe Melissa hatte uns alle verflucht, auch mich und Raggio. Aber während sie die anderen gleich sterben ließ, weil sie die ausführende Hand dabei waren, nahm sie sich bei uns, die wir der Kopf dabei waren, mehr Zeit, um es uns nur erst ganz langsam heimzuzahlen.
    Sie wollte ihre Rache auskosten, indem sie uns nach und nach der schönsten Dinge beraubte, und uns so gegeneinander aufbrachte, dass ich selbst meinen Freund umbrachte. Die Schlampe, tausendfache Schlampe. Und jetzt hatte sie auch noch diesen vermaledeiten Stock hervorgezaubert, um es mir weiter heimzuzahlen. Aber ich werde ihr nicht zum Sieg verhelfen, werde nicht zulassen, dass sie ihre süße Rache auf meinem Rücken austrägt, denn ich bin entschlossen, mich umzubringen. Doch genauer besehen, bleibt sie auch so immer noch die Siegerin. Wenn ich mich töte, hat sie gewonnen, denn dann hat sie mich endgültig ausgeschaltet, und wenn ich weiterlebe, lässt sie mich endlos leiden und hat immer noch gewonnen.
    Daher eins von beiden, besser sterben als leiden. Und außerdem bin ich jetzt sicher, dass sie wieder unter uns auf dieser Welt ist, wiedergekehrt als Geist im Mädchen von Corona Felice Menin. Deswegen schreit die kleine Neve immer, wenn ich in ihre Nähe komme. Und auch bei Raggio fing sie immer verzweifelt zu weinen an. Sie weiß, das es unser Plan war, sie zu töten. Und dazu spürt sie

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