Im Tal des wilden Eukalyptus
Lukas.
»Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging ⦠Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn â¦Â« Die Schrift verschwamm Moira vor den Augen, dann klappte sie die Bibel zu. Nein, sie konnte jetzt beim besten Willen nichts über eine glückliche junge Familie lesen!
Ein paar Augenblicke saà sie wie erstarrt. DrauÃen hörte sie die Zikaden singen und Artemis, die Stute, leise schnauben. Erneut griff sie nach der Bibel, schlug sie blind auf, tippte auf eine Stelle und blickte hin. Genau so, wie Duncan ihr das Bibelstechen einst erklärt hatte.
Sie hatte eine Stelle aus einem Psalm getroffen: Höre, Gott, mein Schreien und merke auf mein Gebet! Vom Ende der Erde rufe ich zu dir, denn mein Herz ist in Angst; du wolltest mich führen auf einen hohen Felsen. Denn du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden â¦
Sie lieà die Bibel sinken, ihr Blick glitt durch den Raum, die bescheidene Hütte. Ãber die verwaiste Wiege. Ihre einfache Bettstatt. Dort lag Duncans Hemd, das Mr Betts ihr mitgegeben hatte. Es war nicht mehr zu retten, so voller Brandlöcher, wie es war. Dennoch hatte sie es nicht übers Herz gebracht, es wegzuwerfen. Langsam stand sie auf und griff danach, presste ihr Gesicht in das grobe Leinen. Es roch nach Rauch und Feuer und ganz schwach nach ihm.
»Duncan«, schluchzte sie plötzlich auf. »Wo bist du?«
Wieso, wieso kam er bloà nicht zurück? Er würde sie nie so lange allein lassen. Nur eine Zwangslage konnte ihn dazu bringen, nicht zu ihr zurückzukehren.
Vielleicht hielten die Eora ihn wirklich fest.
Oder ihm war etwas zugestoÃen.
Sie sank auf ihrem Lager nieder, barg ihr Gesicht in dem zerfetzten Stoff und weinte.
Dann hörte sie es. Von drauÃen. Laut und kläglich: der Schrei eines kleinen Kindes.
»Joey!«
Sofort schoss neue Milch ein, benetzte den Stoff ihrer Bluse. Sie sprang auf, verfing sich fast in der Decke, stieà die Tür auf und stürzte hinaus.
Es war schon beinahe dunkel, der Himmel glühte nur noch in schwachem Rot. Da, ein erneuter Schrei! Er kam aus einem Strauch nicht weit von ihrer Hütte. Sie stolperte vorwärts, fiel vor dem Strauch auf die Knie. Mit zitternden Händen bog sie das Gestrüpp beiseite â und schluchzte erneut auf, diesmal vor Enttäuschung. Ein eiskalter Schwall der Ernüchterung brach über ihr zusammen.
Es war nicht Joey. Es war nur eine kleine rote Katze, die sie aus bernsteingelben Augen vorwurfsvoll anblickte und nun auf sie zukam. Eine Katze, deren hungrige Schreie fast genauso klangen wie die eines menschlichen Säuglings.
Sie wollte wieder hineingehen, wollte allein sein mit ihrem Schmerz. Aber sie brachte es nicht über sich, das Tier dort zu lassen. Sie nahm das Kätzchen auf den Arm, und sofort schmiegte es sich an ihren Hals und fing an zu schnurren. Also war es Menschen gewöhnt. War es einem Nachbarn entlaufen?
Das schnurrende kleine Fellbündel lieà sich widerstandslos in die Hütte tragen. Dort setzte sie das Tier auf den Boden, wo es ihr sofort mit aufgerichtetem Schwanz um die Beine strich, maunzte und ihr das Hinterteil entgegenstreckte.
Moira hatte sich Rührei mit etwas Speck gemacht, aber kaum etwas davon gegessen. Nun nahm sie das Ei und stellte es dem Kätzchen hin. Sofort begann es, gierig zu fressen. Im flackernden Schein der Kerzenflamme wirkte sein Fell selbst wie in Flammen. Rot getigert, mit einem kleinen weiÃen Brustlatz. Nach seiner Mahlzeit kletterte es wie selbstverständlich auf Moiras Bettstatt, rollte sich dort zusammen und schloss mit leisem Schnurren die Augen, als hätte es noch nie woanders gewohnt.
*
Sein Bein pochte, und trotz der Wärme in der kleinen Hütte , in der er lag, war ihm kalt. Duncan zog die weiche, wollige Decke über sich, die die Eora aus dem Fell vieler Kusus, wie sie die kleinen, katzenartigen Beuteltiere nannten, gefertigt hatten. Bis auf ein Tuch, das er sich um die Hüften gewickelt hatte, trug er nichts; sein Hemd war bei Mr Betts geblieben, und seine Hose hatte nun auch ein Loch und war voller Blut.
Die Pistolenkugel war tief in seinen rechten Oberschenkel eingedrungen. Er konnte sie spüren: ein dumpfer, dunkler Schmerz direkt am Knochen. Laufen konnte er so nicht mehr, höchstens ein paar mühsame Schritte humpeln. Dabei hatte er noch Glück im Unglück gehabt.
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