Im Tal des wilden Eukalyptus
entsetzlich, schrien nach einem Kind, das die schreckliche Spannung von ihnen nahm. Als würde ihr Körper genau wie ihre Seele nach Joey rufen. Sie konnte nicht mehr tun, als kühle Tücher aufzulegen und zu versuchen, jede unnötige Berührung zu vermeiden.
Erneut fuhr sie nach Toongabbie, mit einem Karren, den Elizabeth ihr geliehen hatte. Sie konnte nicht anders. Sie musste einfach versuchen, zu Joey zu gelangen, auch wenn ihr niemand öffnete und sie stundenlang auf der Veranda saÃ, bis Ann drohte, ihr die Konstabler auf den Hals zu hetzen und sie in Schimpf und Schande fortbringen zu lassen. Erst dann gab sie auf und machte sich erschöpft wieder auf die Heimreise.
Einen Tag später fing sie McIntyre kurz vor Parramatta auf seinem Weg ins Lazarett ab. Sie hatte ihren Karren quer auf den Weg gestellt, so dass McIntyre gezwungen war anzuhalten.
»Lass mich sofort vorbei!«, fuhr er auf, aber er sah sie dabei nicht an.
»Gebt mir mein Kind zurück!«
Er schwieg.
»Lasst mich wenigstens zu ihm! Ich ⦠ich muss wissen, dass es ihm gutgeht.«
»Der Junge gedeiht prächtig, es fehlt ihm an nichts. Und jetzt lass mich vorbei, ich muss ins Lazarett.«
»Wartet!« Moira zwang sich zur Ruhe, obwohl sie am liebsten auf ihn eingeprügelt hätte. »Wisst Ihr vielleicht, wo Duncan ist?«
»Bedaure, das weià ich nicht. Aber er kommt sicher bald wieder.«
»Nein, das tut er nicht!« Sie schrie es fast. »Er ist verschwunden!«
McIntyre sah auf. Zum ersten Mal blickte er ihr ins Gesicht. »Verschwunden?«
Moira nickte, nun konnte sie kaum noch die Tränen zurückhalten. »Ja«, flüsterte sie heiser. »Schon seit vier Tagen. Seit ⦠seit Ihr Joey geholt habt. Er weià nicht einmal, dass sein Sohn fort ist. Und ich ⦠habe keine Ahnung, wo er sein könnte.« Nun, das stimmte nicht ganz. Sie ahnte es sehr wohl. Aber davon würde sie McIntyre sicher nichts erzählen.
»So lange schon?« McIntyre wirkte ehrlich bestürzt. »Das tut mir leid. Soll ich mich etwas umhören?«
Moira blickte ihn erschöpft und ein wenig zweifelnd an. Mit einem solchen Angebot hatte sie nicht gerechnet. Wahrscheinlich wollte er sie ohnehin nur loswerden.
»Nein. Nein, das ist nicht nötig.« Sie lenkte den Karren zur Seite und gab den Weg frei.
Bevor McIntyre losfuhr, wandte er sich noch einmal an sie. »Brauchst du Geld?«
Moira zögerte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. Jetzt auch noch Geld von dem Mann anzunehmen, der ihr das Kind geraubt hatte, wäre ihr wie Verrat vorgekommen.
*
Sie versuchte, sich zu beschäftigen. Zwang sich zum Essen, auch wenn ihr der Sinn nicht danach stand. Versorgte die Hühner und das Pferd, räumte auf, wusch und flickte. Noch immer war sie schnell erschöpft und musste sich oft ausruhen, aber zumindest lieà die schreckliche Spannung in ihren Brüsten endlich nach.
Das Futter für die Tiere ging allmählich zur Neige, und auch ihre eigenen mageren Vorräte schrumpften immer mehr zusammen.
Elizabeth schickte einen ihrer Sträflinge vorbei, der ihr Brot, etwas Gemüse und eine Hammelkeule brachte â und einen Brief, in der die Schafzüchterin sie nochmals bat, für die nächste Zeit auf ihre Farm zu ziehen. Moira lehnte abermals ab. Sie konnte jetzt nicht weggehen. AuÃerdem musste der Weizen dringend geerntet werden. Das Getreide begann bereits auf dem Halm zu vertrocknen, aber es war niemand da, der ihr helfen konnte. Mr Betts hatte eigene Probleme, und Elizabeths Sträflinge waren mit der riesigen Farm mehr als genug beschäftigt.
Eine geheime Furcht hielt sie davon ab, selbst zur Sense zu greifen. Das war Duncans Aufgabe. Wenn sie sich selbst daran versuchte, würde das bedeuten, dass sie nicht mehr an seine Rückkehr glaubte.
Morgen, sagte sie sich. Morgen würde er zurückkommen. Spätestens an Weihnachten.
Aber er blieb verschwunden. Auch Ningali tauchte nicht mehr auf. Oder Joseph, oder Tedbury. Es schien, als seien alle Eora wie vom Erdboden verschluckt.
Den Weihnachtstag verbrachte sie allein. Am Abend, als die Sonne unterging und die Dämmerung einsetzte, holte sie die halb niedergebrannte Bienenwachskerze aus der Truhe, zündete sie an und befestigte sie mit einem Tropfen Wachs auf der Tischplatte. Dann setzte sie sich mit ihrer Bibel an den Tisch und schlug das Neue Testament auf. Bei
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